Ein Jahressteuergesetz ist ein Sammelsurium von Korrekturen quer durch das Steuerrecht, das aus der Berücksichtigung neuerer Rechtsprechungen, der Umsetzung europäischer Vorgaben und Korrekturen mißlungener Gesetzesversuche besteht. Willkommen in Absurdistan! So oder ähnlich könnte der Kommentar lauten, wenn man einige Irrlichter des Jahressteuergesetzes 2022 näher analysiert, das die Änderungen für 2023 beinhaltet.
Beispiel eins: Die Besteuerung der Vorteile aus Energiepauschale und Gaspreisbremse. Letztere deckelt den Gaspreis auf zwölf Cent pro Kilowattstunde, bei Fernwärme setzt die Preisbremse schon bei 9,5 Cent an. Der Haken dabei: Der gesparte Vorteil muß versteuert werden – Details müssen allerdings noch beschlossen werden. In Anlehnung an den Soli betrifft dies alle, die mehr als 18.131 Euro an Einkommensteuer zahlen, also ein zu versteuerndes Einkommen von über 66.915 Euro pro Jahr haben (Grundtabelle). Dies betrifft etwa zehn Prozent der Steuerzahler. Damit wird die Folge eines Preiseingriffs als ein zu versteuerndes Einkommen definiert – eine überaus innovative Erweiterung des Einkommensbegriffs. Direkte Sozialleistungen wie das Bürgergeld und Wohngeld sind steuerfrei, die indirekte Hilfe über den verbilligten Energiebezug hingegen nicht. Das erscheint als willkürlich.
Das System heißt „Linke Tasche, rechte Tasche“
Sozialpolitik wird über das Steuerrecht nachgereicht, da man die Gaspreissubvention per Gießkanne verteilt hat – Stichwort: Der Besitzer einer Villa mit beheiztem Pool ist der große Nutznießer des Preisvorteils. Der Grund ist das fehlende Wissen der Gasversorger, wer wieviel verdient. Deshalb der Umweg über den Fiskus. Hintenherum dürfte dies die Staatskasse um 850 Millionen Euro bereichern – linke Tasche, rechte Tasche. Ähnlich läuft es mit der Energiepauschale, die größtenteils schon im letzten Jahr geflossen ist. Im Durchschnitt bleiben – so Berechnungen des Bundesfinanzministeriums – von den 300 Euro brutto nur 193 Euro netto übrig. Eine Kopplung an das Bürgergeld/Wohngeld wäre angemessener.
Beispiel zwei: „Energiekrisenbeitrag“ – Übergewinnsteuer (JF 25/22). Auf der Grundlage der im Oktober 2022 von den EU-Mitgliedstaaten beschlossenen EU-Verordnung über Notfallmaßnahmen (Verordnung EU 22/1854) erhebt der Bund einen „Energiekrisenbeitrag“ bei Unternehmen, die zu mindestens 75 Prozent in den Bereichen Extraktion, Bergbau, Erdölraffination oder Herstellung von Kokereierzeugnissen tätig sind. Im Umkehrschluß sind Produzenten von Strom und Wärme aus Erdgas oder aus erneuerbaren Energien von dieser Sondersteuer ausgenommen. Diese de facto Übergewinnsteuer wird außerhalb der bestehenden Steuergesetze im deutschen EU-Energiekrisenbeitragsgesetz (EU-EnergieKBG) geregelt. Sie gilt für die Wirtschaftsjahre 2022 und 2023.
Als Bemessungsgrundlage des „Übergewinns“ wird derjenige Teil des Gewinns herangezogen, der mehr als 20 Prozent über dem Durchschnitt der Gewinne der Wirtschaftsjahre 2018 bis 2021 liegt. Lag der durchschnittliche steuerliche Gewinn der letzten vier Jahre beispielsweise bei einer Million Euro, wird die Zusatzsteuer auf den Betrag erhoben, der 1,2 Million Euro Gewinn übersteigt. Wenn der Überschuß null Euro betrug oder gar im Schnitt ein Verlust vorlag, so wird der gesamte Gewinn der Jahre 2022 und 2023 besteuert.
Der Steuersatz beträgt 33 Prozent – zusätzlich zur normalen Gewinnbesteuerung. Da der „Energiekrisenbeitrag“ eine Steuer im Sinne der Abgabenordnung ist, zählt er zu den nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben, kann also nicht gewinnmindernd geltend gemacht werden. Neben einer fragwürdigen Rechtsgrundlage der zugrunde liegenden EU-Verordnung – sie wird mit der „EU-Katastrophenschutzrechtsklausel“ (Artikel 122 AEUV) begründet, kommt es zu einer Doppelbelastung der Gewinne mit den üblichen Ertragsteuern (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer) und der Übergewinnsteuer.
An verfassungsrechtliche Grenzen würde eine mögliche Steuerbelastung der Gewinne von über 60 Prozent stoßen, da hier eine Verletzung der Eigentumsgarantie (Artikel 14 GG) vorliegen könnte. Zudem wird an einem zentralen Grundsatz im Steuerrecht geschraubt, dem Nichtdiskriminierungsprinzip. Danach müssen alle gleich belastet werden, die gleich leistungsfähig sind. Unternehmen anderer Branchen, selbst Produzenten von Strom und Wärme aus Erdgas oder aus erneuerbaren Energien, die ebensolche „Übergewinne“ einfahren, sind jedoch nicht betroffen. Damit wird indirekt in gute und schlechte Gewinne unterschieden – Beliebigkeit im Steuerrecht. Der Energiekonzern Exxon hat bereits Klage gegen die EU-Verordnung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht. Auch im FDP-geführten deutschen Finanzministerium wird hinter vorgehaltener Hand geraten, gegen die Sonderlast zu klagen – Subversion im eigenen Haus, das eine Übergewinnsteuer parteipolitisch ablehnt.
Gleichbehandlung wegen der Nichtdiskriminierung
Beispiel drei: Umsatzbesteuerung öffentlicher Betriebe. Rechts- und Unionstreue, staatliche Steuerehrlichkeit und der Schutz des Wettbewerbs gelten als hohe Werte – jedoch nicht, wenn es um die Steuerbegünstigung öffentlicher Betriebe geht: Unternehmen von Bund, Ländern, Kommunen, Hochschulen, Kirchen, Kammern und andere öffentliche Körperschaften. Konkret geht es vornehmlich um kommunale Dienstleister der sogenannten Daseinsvorsorge: Abfallbetriebe, Bäder, Stadtwerke, Museen. Gemäß der EU-Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (1977) unterliegen wirtschaftliche Unternehmen der öffentlichen Hand der Umsatzsteuer. Prinzipiell – wären da nicht Interessen, die eine Sonderregelung aufrechterhalten.
Zwar führt die Mehrwertsteuerregelung zu einer Selbstbesteuerung des Staates bzw. seiner Betriebe (linke Tasche, rechte Tasche). Da jedoch viele der genannten Dienstleistungen in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen stehen, ist eine steuerliche Gleichbehandlung aus Gründen des Wettbewerbs und der Nichtdiskriminierung geboten. Die EU-rechtswidrige deutsche Regelung wurde erst 2015 mit Wirkung zum 1. Januar 2017 abgeschafft (Paragraph 2b Umsatzsteuergesetz/UStG). Allerdings bestand die Möglichkeit, für eine vierjährige Übergangszeit die Altregelung beizubehalten. Mit Beginn der Covid-19-Pandemie 2020 wurde die Übergangsregelung nochmals bis Ende 2022 verlängert. Und da offensichtlich sechs Jahre zur Vorbereitung der Umsetzung nicht ausreichten, hat der Gesetzgeber – gewissermaßen in eigener Sache – eine erneute Verlängerung um weitere zwei Jahre beschlossen.
Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.