Ungarns Ministerpräsident scherzte via Twitter, irgendwann würden „genug EU-Abgeordnete hinter Gittern sitzen, um dort eine eigene Fußballmannschaft zu gründen“. Eine Anspielung auf den sich ausweitenden Korruptionsskandal im europäischen Parlament. Denn hinter den Kulissen rumort es seit der Festnahme der Vizepräsidentin des EU- Parlaments, Eva Kaili, kräftig. Neben Kaili stehen weitere EU-Politiker im Fadenkreuz der Justiz, etwa der ehemalige Abgeordnete Pier Antonio Panzeri, Kailis Lebensgefährte und NGO-Funktionär Francesco Giorgi, der italienische Abgeordnete Andrea Cozzolino sowie der belgische Abgeordnete der Sozialistischen Partei Marc Tarabella.
Bereits jetzt ein schwerer Schlag für die Fraktion der Sozialisten im Parlament, denn mit Ausnahme der Griechin Maria Spyraki sind alle bisher Beschuldigten auf die eine oder andere Art mit ihr verbunden. Freuen kann sich hingegen die belgische Polizei, ihr gelang durch beherztes Zugreifen ein echter Paukenschlag. Über fünf Stunden lang wurde die den Ermittlungsakten zufolge „geschockte und in Tränen aufgelöste Kaili“ verhört, nachdem Kailis Vater durch seinen Fluchtversuch mit mehreren Hunderttausend Euro im Koffer die Hausdurchsuchung bei der Griechin ausgelöst hatte. „Gefahr im Verzug“ habe bestanden, so der zuständige Staatsanwalt, der die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola aus Malta zurückbeorderte, um den Zugriff trotz Immunität der Beschuldigten durchführen zu können.
Mittlerweile hat sich der im Dezember aufgewirbelte Staub etwas gelegt, in seiner ersten Sitzungswoche im Januar hob das EU-Parlament die Immunität von Tarabella und Cozzolino auf und hielt sich sonst mit öffentlichen Erklärungen zurück. Doch im Verhörraum der belgischen Strafanstalt Haren nordwestlich von Brüssel platzte eine kleine Bombe. Panzeri, der den Ermittlungen zufolge im Hintergrund die Fäden gezogen und Geldströme organisiert hatte, kündigte an, vollumfänglich kooperieren zu wollen. Er bekenne, Teil einer „kriminellen Organisation“ zu sein, die als Daseinszweck „Korruption“ gehabt habe. Er werde Namen und Daten an die Behörden übergeben, so sein Anwalt. Die Aussage ist Teil eines Deals mit den Ermittlungsbehörden, die Panzeri einen kräftigen Strafnachlaß einbringen dürfte.
Zu einigen Rücktritten kam es bereits
Unter seinen ehemaligen Kollegen im Parlament sorgte diese Nachricht für Unruhe, denn tatsächlich dürfte der Korruptionsskandal noch deutlich weitere Kreise ziehen. Doch getan hat sich schlußendlich wenig, es fehlt an Transparenz und Nachverfolgbarkeit in den riesigen Apparaten in Brüssel und Straßburg. Korruption und Vetternwirtschaft scheinen als Kavaliersdelikte zu gelten, Metsola beförderte etwa den Ex-Mitarbeiter eines wegen Korruption verurteilten italienischen Parlamentsabgeordneten auf einen der höchsten Beamtensitze der EU.
Immerhin, zu einigen Rücktritten kam es bereits. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, die belgische Sozialistin Maria Arena, trat von ihrem Posten zurück, nachdem bekannt geworden war, daß auch sie eine von Katar gesponserte Reise nicht ordnungsgemäß angemeldet hatte. Sie sei ein „Opfer“ politischer und medialer Attacken und „unschuldig“, so Arena. Ihr Vorgänger an der Spitze des Ausschusses: der frischgebackene Kronzeuge Panzeri.
Auch Metsola verstieß massiv gegen die Compliance-Regeln des EU-Parlaments und meldete nun fünf Reisen sowie diverse Geschenke nach. Zuvor hatte die Malteserin in der vergangenen Woche die EU-Parlamentsabgeordneten bei der Eröffnung der Sitzungswoche über die Maßnahmen, die zur „Stärkung der Integrität, Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht des Parlaments“ ergriffen worden seien, informiert: Man wolle für mehr Transparenz sorgen, zudem ein „helleres Licht auf unsere Tätigkeit als Abgeordnete werfen und der Öffentlichkeit mehr und klarere Informationen zur Verfügung stellen“, erklärte Metsola. „Wir werden Regeln durchsetzen, die jegliche Aktivitäten verbieten, die zu einer Verwechslung mit den offiziellen Aktivitäten des Europäischen Parlaments führen könnten, insbesondere wenn es um die Interaktion mit Drittländern geht. Wir werden mehr tun, um sicherzustellen, daß die Öffentlichkeit klare Informationen über unsere Finanzerklärungen erhält, und wir werden für mehr Schulungen zu Whistle-blowing und Compliance sorgen. Wir werden die Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption und zur Abwehr ausländischer Einmischung verstärken.“