© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/23 / 27. Januar 2023

Grüße aus … Bern
„Grüessech mitenand!“
Frank Liebermann

Richtig grüßen will gelernt sein. In Kreuzworträtseln wird oft nach der Schweizer Grußformel gefragt. Fast immer ist „Grüezi“ die gesuchte Antwort. Gut möglich, daß die Leser solcher Zeitungen das als richtig ansehen. Leider stimmt das nur zur Hälfte. „Grüezi“ ist eine der unzähligen Varianten, mit denen sich das sympathische Bergvolk anspricht. 

Wer meint, diesen Gruß in Bern benutzen zu dürfen, wird im gnädigsten Fall als Tourist klassifiziert. Weniger wohlmeinende Menschen halten die Person für einen Zürcher. Und das kommt bei den Hauptstädtern einem Schimpfwort sehr nahe. Die korrekte Grußformel in Bern lautet „Grüessech“. Wie sich aus dem Begriff ableiten läßt, bedeutet dies soviel wie „Ich grüße euch“. Bei der ersten Kontaktaufnahme ist es daher unabdingbar, das Gespräch so zu starten. 

Alternativ ist noch „Tschou“ erlaubt. Dies ist aber nur näher bekannten Personen und Freunden vorbehalten. 

Nun beobachtete ich eine Szene an einer Tramhaltestelle. Ein offensichtlich ortsunkundiger Mann in den besten Jahren, dem Dialekt nach ein Luzerner, lief umher, starrte auf die Fahrpläne und quatschte in sein Mobiltelefon, daß er sich verspäte. Die teure Funktionsjacke und seine Wanderschuhe wiesen ihn als Touristen aus. Dann entdeckte er eine ältere Frau, die er um Auskunft bat: „Grüezi, wissen Sie vielleicht, welche Tram ich zum Paul-Klee-Zentrum nehmen muß?“ Die Dame blieb ruhig stehen und schaute den Mann an. Es folgte ein eisiges Schweigen von ein paar Sekunden. Sie entgegnete ein langgezogenes und gemütliches „Grüessech“. Dann passierte eine gefühlte Ewigkeit wieder nichts. Damit war das Revier abgesteckt. Der Luzerner begriff sofort. Etwas verstört erwiderte er dasselbe. Die Frau, die wie eine pensionierte Englischlehrerin wirkte, schaute zufrieden. Offensichtlich hatte sie dem Rüpel vergeben, er war eingenordet. Sie setzte zu einer Erklärung an, mit der er dann seinen Weg fortsetzen konnte. 

Wichtig: „Grüessech“ ist immer nur eine Person gemeint. Wenn mehrere zusammen sind, ist die Redewendung um „mitenand“ zu ergänzen. Wer eine Gruppe ohne „mitenand“ anspricht, ist vorsätzlich unhöflich oder ein Asozialer. Auch hier gilt: Beide Worte sind auf den Vokalen stark zu betonen und möglichst langsam auszusprechen. Wir Berner hetzen nämlich nicht gern.

Alternativ ist noch „Tschou“ erlaubt, was dem deutschen „Hallo“ entspricht. Dies ist aber nur näher bekannten Personen und Freunden vorbehalten. Autoritäten jeglicher Art sind auf keinen Fall so anzusprechen.

Noch wichtiger: Gegrüßt wird immer, jeder und überall. Laufend im Wald, an der Supermarktkasse, in der Waschküche (ja, in der Schweiz wird das wirklich gemacht), beim Einsteigen in den Bus zum Fahrer und an allen anderen Plätzen, an denen ein Treffen möglich ist. Wer das unterläßt, ist ein Hurensohn und kommt in die Hölle.