Die Leser schottischer Zeitungen mussten sich wohl die Augen reiben. „Vor Gericht: Eine Transgender-Frau, die zwei Frauen mit IHREM Penis vergewaltigt hat“, titelte die schottische Ausgabe der Sun vergangene Woche. Adam Graham, der sich jetzt Isla Bryson nennt, soll zwei Bekannte sexuell schwer mißbraucht haben. Inzwischen identifiziert er sich als Transfrau.
Der Strafprozeß, der derzeit vor dem Hohen Gericht in Glasgow verhandelt wird, erregt auch deshalb viel Aufmerksamkeit, weil er zum Konflikt um das neue Transgender-Gesetz paßt. Dieses neue schottische Gesetz (Gender Recognition Reform Bill) hat inzwischen zu einer staatspolitischen Krise im Vereinigten Königreich geführt. Die Londoner Regierung hat ein Veto eingelegt. Das schottische Transgender-Gesetz erlaubt einen einfachen Geschlechtswechsel ab 16 Jahren durch „Selbstidentifikation“. Männer, die sich zu Frauen erklären wollen, oder umgekehrt Frauen, die Männer werden wollen, müssen nur noch drei Monate „im neuen Gender leben“, dann sollen die Behörden nach einer Selbstauskunft den Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde ändern. Eine medizinische Diagnose der „Gender-Dysphorie“ ist nicht mehr nötig.
Schottlands Regierungschefin Nicolas Sturgeon von der linksgerichteten Scottish National Party (SNP) hat das Gesetz zusammen mit Grünen, Labour und Liberalen kurz vor dem Jahreswechsel durchgedrückt. Sturgeon will besonders progressiv erscheinen und sich zur „Streiterin für die Transrechte“ aufschwingen. Das neue Gesetz ist aber unpopulär. Fast zwei Drittel der Schotten lehnen es laut einer Umfrage ab.
Auch in der SNP gab es Bedenken. Eine Reihe vor allem weiblicher Abgeordnete stimmten dagegen. Feministinnen wie die Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling fürchten, daß biologische Männer als „Transfrauen“ künftig ungehindert Zugang zu geschützten Frauenräumen wie Umkleiden, Duschbereichen, Saunen oder Frauengefängnissen bekommen.
In schottischen Haftanstalten sitzt schon jetzt eine ganze Reihe männlicher Häftlinge, die sich zu Transfrauen erklärt haben – mehr als die Hälfte von ihnen erst nach ihrer Verurteilung.
Seit London das Gesetz blockiert, gehen die Wogen der Erregung besonders hoch. Sturgeon beschuldigt die britische Regierung eines „Frontalangriffs auf das schottische Parlament“. Premierminister Rishi Sunak verweist auf die übereinstimmende Meinung der Regierungsjuristen, daß Edinburgh seine Kompetenzen überschritten habe, weil das Gesetz aus Schottland in das britische Gleichstellungsgesetz, den Equality Act von 2010, eingreife.