© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/23 / 27. Januar 2023

Putins Machtspielchen
Rußland: Einst hoch im Kurs, rückt die Wagner-Söldnermiliz zurück ins zweite Glied
Marc Zoellner

Kein Verständnis hatte Jewgeni Prigoschin, Gründer und Finanzier der Söldnergruppe Wagner, für die jüngste Anordnung des russischen Generalstabschefs Waleri Gerassimow: Letzterer, seit Januar dieses Jahres Oberbefehlshaber über die russischen Invasionstruppen in der Ukraine, hatte seinen Soldaten verordnet, nicht nur auf Mobiltelefone und zivile Fahrzeuge zu verzichten. Der altgediente Militär, der sich zuletzt als blutiger Stratege im Syrienkrieg bewies, bestand überdies auf der Einhaltung standardisierter Haarschnitte samt zugehöriger Rasur. „Der Krieg ist die Zeit für die Mutigen und Aktiven, nicht für die Glattrasierten, die ihre Telefone im Lager abgegeben haben“, ermahnte Prigoschin nicht nur den General, sondern gleich das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation mit. Die Beamten sollten besser „mit der Entwicklung der modernen Kriegsführung mitwachsen, lernen, wie man den Feind erfolgreich tötet und Gebiete erobert, anstatt alle nach Ihren albernen Regeln, Prinzipien und Launen zu durchkämmen“.

Die Eskapade um die korrekte Bartpflege ist dabei nur die letzte in einer schon Monate währenden Konfliktserie zwischen Prigoschin und seinen Söldnern auf der einen sowie dem russischen Militär und seiner Führung auf der anderen Seite. Für Prigoschin steht dabei vieles auf dem Spiel. Denn die Gruppe Wagner ist nicht nur eine lukrative Einnahmequelle des Söldnerführers, sondern ebenso sein machtpolitisches Überlebenskapital in Moskaus innerem Zirkel. Dabei standen die Sterne für Prigoschin noch zu Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine deutlich gut: Die russische Armee hatte sich vor Kiew verrannt, mußte großflächig sogar den Rückzug antreten, um sich im Süden und Osten der Ukraine neu zu konsolidieren. 

In Einklang mit den Truppen des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow durften sich Prigoschins Söldner als Elitetruppen beweisen – Kadyrows Männer bei der Einnahme der Großstadt Mariupol; die Gruppe Wagner in den Kämpfen im Westen der Oblaste Donezk und Luhansk. In Kadyrow fand Prigoschin bald schon einen Fürsprecher seiner regelmäßigen Kritik an der Vorgehensweise des russischen Generalstabs – allerdings auch einen Wettbewerber um den Einfluß beider Milizen auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Washington droht denen, die mit der Wagner-Gruppe kooperieren

Aufgrund der hohen Verluste der russischen Armee hatte Putin dem Wagner-Gründer seit Herbst sogar gestattet, unter Gefängnisinsassen Nachschub zu rekrutieren. Dem britischen Geheimdienst zufolge kämpfen derzeit neben etwa zehntausend Wagner-Söldnern mehr als vierzigtausend verpflichtete Sträflinge für Prigoschin. Sein Ziel einer Zulassung seiner Privatarmee verfehlte dieser jedoch bislang: Nach russischem Strafgesetz sind irreguläre Milizen verboten; offiziell verdient Prigoschin sein Geld lediglich als Zulieferer der russischen Armee. 

Trotz umfangreicher Lobbyarbeit Prigoschins im Kreml mag Putin diesen Status nicht ändern. Der russische Präsident, so Analysten, befürchtet ein Machtungleichgewicht zuungunsten seiner eigenen Truppen. Die Ernennung Gerassimows zum Kommandeur der russischen Ukrainetruppen gilt dabei als deutliches Zeichen Putins, dem eigenen Militär anstelle privater Söldnertruppen wieder größere Bedeutung beimessen zu wollen – ebenso wie die jüngsten Gerüchte um eine neue Mobilisierungswelle von bis zu einer halben Million Rekruten. In einer Ansprache am 13. Januar hatte Putin sogar ganz bewußt die tragende Rolle der Gruppe Wagner bei der Eroberung der strategisch wichtigen Stadt Soledar verschwiegen.

Neben seinen schmerzlichen Machtkämpfen im Kreml droht Prigoschin derweil weiteres Ungemach auf internationaler Ebene: Nachdem Berichte bekannt wurden, daß Mitglieder der Gruppe Wagner vergangenen November in Nordkorea mehrere Container mit Raketen erworben hätten, verkündete die US-Regierung vergangenen Freitag neben neuen Sanktionen die Einstufung der Söldnermiliz als transnationale kriminelle Organisation. 

„Mit diesen Maßnahmen – und es werden noch weitere folgen“, warnte John Kirby, Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, „lautet unsere Botschaft an alle Unternehmen, die in Erwägung ziehen, Wagner zu unterstützen, ganz einfach: Wir werden unerbittlich daran arbeiten, diejenigen zu identifizieren, zu stören, zu entlarven und ins Visier zu nehmen, die Wagner unterstützen.“ In diesem Konflikt auf Beistand seitens des Kreml zu hoffen dürfte sich Prigoschin jedoch längst verbaut haben.