© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/23 / 27. Januar 2023

Schneller, härter, höher?
Bundestag: Klimakleber und Konsorten müssen bei ihren Straftaten wahrscheinlich nicht mit verschärften Gesetzen rechnen
Jörg Kürschner

Die Blockaden auf deutschen Straßen und die Krawalle bei der Räumung des Kohledorfs Lützerath haben die Diskussion über härtere Strafen gegen radikale „Klimaschützer“ befeuert. Politik und Justiz streiten, ob gewalttätiger Protest gegen die Klimapolitik der Bundesregierung strafbar oder als ziviler Ungehorsam gerechtfertigt und damit straflos ist. Steht gar das Gewaltmonopol des Staates auf dem Spiel?

Dieser Eindruck drängte sich auf, als die bekannte Klimaschützerin Luisa Neubauer ihre Teilnahme an den Protesttagen in Lützerath mit den entlarvenden Worten kommentierte: „Es war vielleicht nicht legal, aber in den Augen der Demonstranten legitim“. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte beobachtet: „Sie war bei den Radikalen.“

Eine Haltung, die sich auch widerspiegelt in den Redebeiträgen grüner und linker Abgeordneter während der von der AfD beantragten Aktuellen Stunde des Bundestages zum Thema „Lützerath – Angriff auf den Rechtsstaat“. Anders als ihr Fraktionskollege Lukas Benner distanzierte sich weder die Grünen-Abgeordnete Ingrid Nestle noch Linken-Parteichefin Janine Wissler von den Gewalt-exzessen in Lützerath. Klare Kante zeigte dagegen Karsten Hilse (AfD), ein ehemaliger Polizist. Der Abgeordnete aus Sachsen nannte gewalttätige Aktivisten „Klimaterroristen“ und „potentielle Mörder“, soweit diese Molotowcocktails auf Polizisten geworfen hätten.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nutzte die allgemeine Empörung über Klima-Kleber und „Aktivisti“ (so der neu kreierte Begriff in Gendersprache), um sich ihrer früheren Rolle als law-and-order-Partei zu erinnern. Mit Blick auf die Proteste der „Letzten Generation“ forderte die Union in ihrem Antrag unter anderem, den Strafrahmen des Gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr bis zu fünf Jahren anzuheben, „um die besondere Gefährlichkeit der Straßenblockaden angemessen zu ahnden“. Auch soll das Strafmaß für die Behinderung von hilfeleistenden Personen auf bis zu drei Jahre erhöht werden. Der Tatbestand der Nötigung soll durch Regelbeispiele ergänzt, der Schutz von Kulturgütern vor mutwilligen Beschädigungen verbessert werden. Die Norm Sachbeschädigung würde erweitert durch das Tatbestandsmerkmal der „Gemeinschädlichen Sachbeschädigung“.

Sprecher der „Letzten Generation“ kündigten inzwischen an, ihre Proteste ab dem 6. Februar auszuweiten und in alle Städte und Dörfer zu tragen. Presseberichten zufolge handelt es sich dabei um eine zentralistisch strukturierte, mit erheblichen Geldmitteln ausgestattete Organisation, die die zukünftigen Rechtsbrecher in Trainingscamps psychologisch auf ihren Einsatz vorbereitet. Natürlich wird auch die Frage, welcher Kleber, welche Handelsmarke sich am besten eignet, detailliert beantwortet.

In der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages konnte die Union mit ihrem Antrag allerdings kaum punkten. Mehrere Sachverständige betonten das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und warnten vor einer anlaßbezogenen Gesetzgebung, die bereits ausreiche, rechtswidrige Demonstrationen zu ahnden. Bezug genommen wurde mehrfach auf den Klimabeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021. 

„Bleibt der Rechtsstaat untätig, droht er zu erodieren“

Das höchste deutsche Gericht hatte seinerzeit effektiven Klimaschutz als eine Pflicht definiert, die das Grundgesetz dem Gesetzgeber auferlegt habe. „Die Aktivisten üben ihre Grundrechte aus, um einzufordern, daß sich der Staat an die eigenen Regeln sowie an die Verfassung hält, um die Grundrechte und Freiheitschancen aller zu schützen“, sagte der Hamburger Rechtsanwalt Johannes Franke. Schweres Geschütz fuhr Clemens Arzt von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht auf. Mit dem Unionsantrag werde versucht, „Proteste durch seine Einordnung in Extremismus aus dem Schutzbereich des Grundgesetzes zu verdrängen“.

Positive Stellungnahmen waren indes von Vertretern aus der Praxis zu hören. Der Weiße Ring, der Kriminalitätsopfer unterstützt, warnte, keine noch so anerkennenswerte Grundüberzeugung dürfe zu Straftaten führen. „Bleibt der Rechtsstaat hier untätig oder auch nur unklar, droht er zu erodieren“, sagte der Bundesvorsitzende Patrick Liesching. Die Vizechefin der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Sabine Schumann, stellte klar, der demokratische Rechtsstaat biete umfangreiche Möglichkeiten des Protests. „Es ist nicht erforderlich, zu diesem Zweck Straftaten zu begehen.“

Dieser Tenor prägt auch die bisherigen Gerichtsurteile zu Straßenblockaden – mit Ausnahmen. So ließen sich etwa die Richter des Landgerichts Berlin nicht von der Erklärung eines Angeklagten beeindrucken, „wir müssen stören, um zu schützen“. Dessen Berufung wurde mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verworfen, der letzten Instanz in Strafsachen. Danach sind Straßenblockaden grundsätzlich als Nötigung zu bewerten. Das Ankleben auf einer Straße führe zu einer „psychischen Zwangswirkung“ auf nachfolgende, in zweiter Reihe befindliche Autofahrer. Diese Gewalt sei „verwerflich“ im Sinne des Nötigungsparagraphen. Da der Angeklagte argumentiere, über dem Gesetz zu stehen, bestehe die „Gefahr einer weiteren Radikalisierung“, befürchtete der Vorsitzende Richter Ralf Vogel. Gegen die Geldstrafe in Höhe von 600 Euro ist jetzt noch Revision vor dem Kammergericht möglich.

In anderen Fällen lehnten Berliner Richter von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafbefehle ab, eine Art schriftliches Gerichtsverfahren ohne öffentliche Hauptverhandlung, vorausgesetzt, der Betroffene verzichtet auf einen Einspruch. So verneinte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten ein „verwerfliches Verhalten“, da das Anliegen der Klimakämpfer wissenschaftlich nicht zu bestreiten sei. Bayern hingegen ist für die Aktivisten im wahrsten Sinne des Wortes ein schwieriges Pflaster. Im vergangenen Herbst hatten sich zwölf Radikale gleich zweimal binnen eines Tages auf Straßen in München festgeklebt und erhebliche Staus verursacht. Nach dem Polizeiaufgabengesetz (PAG) wurden sie wegen Wiederholungsgefahr vorbeugend zu 30 Tagen Haft verurteilt. Nach 23 Tagen wurden sie entlassen. 





Straftatbestände 

Was einige Medien oder Politiker bei den radikalen Klimaschützern als „zivilen Ungehorsam“ beschönigen, sind juristisch meistens Straftaten. Die Masche, im Bundestag willkürlich Feueralarm auszulösen, kann eine Nötigung von Verfassungsorganen (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren) oder die Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans (Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr) darstellen. Anwendbar sind häufig auch Widerstand gegen oder der Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Hausfriedensbruch, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Nötigung, Sachbeschädigung oder gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr. Geld- oder Freiheitsstrafen sind auch da vorgesehen. Darüber hinaus ist auch das Zivilrecht betroffen. So steht es jeder natürlichen oder auch juristischen Person – beispielsweise einer Firma – frei, sämtliche Schäden, die ihr bei Aktionen der Protestler entstanden sind, im Wege zivilrechtlicher Schadensersatzforderungen gegenüber den Verursachern geltend zu machen. Dies kündigte etwa der Energiekonzern RWE an, der von den Chaoten, die in Lützerath Geräte und Bauwerke zerstört haben, Schadensersatz fordert. (vo)

Fotos: Mitglieder der Gruppe „Letzte Generation“ haben im November 2022 in Wien ein Werk des Malers Gustav Klimt mit Farbe bespritzt: Schutz von Kulturgut vor mutwilliger Beschädigung; Besetzer von Lützerath greifen Polizisten an: Experten warnen im Bundestag vor einer anlaßbezogenen Gesetzgebung