© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/23 / 27. Januar 2023

Wo Hänschen nichts lernt, ...
Schulen: Die ohnehin brisante Lage wird durch Einwanderung verschärft
Christian Schreiber

Das deutsche Schulsystem steht wieder einmal vor kaum zu bewältigenden Herausforderungen. Das geht aus dem in der vergangenen Woche vorgestellten „Schulbarometer“ der Robert-Bosch-Stiftung hervor. Grundlage der Studie ist eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa unter insgesamt 1.055 Schulleitern im gesamten Bundesgebiet. Das größte Problem ist nach Angaben von zwei Dritteln der Befragten der Personalmangel. Der könnte dazu führen, daß das seit Jahren sinkende Bildungsniveau noch weiter in den Keller rutscht. 

Vom Lehrkräftemangel sind aus Sicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vor allem Schulen in strukturschwacher Lage betroffen. „Und gerade dort ist der Mangel um so fataler“, sagte die nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Ayla Çelik mit Blick auf den besonderen Förderbedarf vieler Schülerinnen und Schüler an solchen Standorten. Um der Personalnot zu begegnen, schlägt die Gewerkschafterin unter anderem Standardabsenkungen in der Fläche vor. Es sollten schlankere Lehrpläne eingeführt und weniger Klassenarbeiten geschrieben werden. Falk Radisch, Professor für Schulpädagogik an der Universität Rostock, erklärte gegenüber der „Tagesschau“, der Personalmangel überdecke alles und sei auch in absehbarer Zeit nicht zu beheben. Dafür gebe es auch Hinweise aus der Wissenschaft.

Schulen in schwieriger sozialer Lage besonders betroffen

Mehr als drei Viertel der befragten Schulleitungen gaben an, daß sie ihren Schülern keine angemessene Unterstützung bieten können. Dies zeigt sich auch an den Lernrückständen. 35 Prozent der Schülerinnen und Schüler würden nicht nach dem erforderlichen Stand der Lehrpläne unterrichtet, sagten die Befragten. An Schulen in sozial schwieriger Lage wird die Quote sogar auf fast zwei Drittel geschätzt. „Für den Lehrkräftemangel gibt es keine schnelle und vor allem keine einfache Lösung“, warnte Dagmar Wolf von der Robert-Bosch-Stiftung. Es geht dabei nicht nur um die Quantität des Lehrpersonals, sondern auch um die Qualität. 

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) warnt daher davor, verstärkt sogenannte Quereinsteiger für den Lehrerberuf zu rekrutieren. „Lehrkräftemangel ist für uns in der Schule nicht nur eine Zahl, es ist eine reale Bedrohung für die pädagogische Qualität unseres Angebots“, teilte der VBE-Bundesvorsitzende Gerhard Brand mit und fügte hinzu: „Vor allem wenn noch lauter darüber nachgedacht wird, das Lehramtsstudium zu verkürzen, und die Lehrbefähigung schon mit dem Bachelor erreicht wird. Das ist ein Irrweg.“ 

Den oft bemängelten Digitalisierungsstau sowie die fehlende technische Ausstattung nehmen die in der Bosch-Studie befragten Schulleiter dagegen nicht als zentrale Probleme wahr. Dies gaben nur 22 Prozent der Befragten als herausragend an. Die Folgen der Corona-Pandemie schätzen sogar nur neun Prozent der Schulleitungen noch als relevant ein. 

Ein genauer Blickt lohnt sich aber auch auf die Schülerstruktur. Nach der Flüchtlingswelle von 2015 sieht sich das deutsche Schulsystem seit knapp einem Jahr verstärkt mit Kindern aus der Ukraine konfrontiert. Mittlerweile sagen 80 Prozent der Schulleitungen, daß an ihrer Schule ukrainische Schüler unterrichtet werden. Derzeit beträgt die Anzahl der ukrainischen Schüler 2,7 Prozent. 

Dabei ist auch die Fluktuation ein großes Problem, sie bindet viele Kräfte. 56 Prozent der befragten Schulleitungen gaben demnach an, daß bei ihnen bereits ein Wechsel von einem ukrainischen Schüler vollzogen wurde. „Selbstverständlich bringt der Schulwechsel auch psychosoziale Belastungen für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen sowie für die Klassengemeinschaft mit sich, was neuerlicher Probleme aufwirft“, heißt es in der Studie. 

Während die Aufnahme der nach dem russischen Angriff geflüchteten ukrainischen Kinder offenkundig ist, verzeichneten die Schulen „stetig auch neu zugewanderte Schüler aus anderen Ländern“. Bezeichnenderweise heißt es in der Studie dazu: „Anders als bei den geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine veröffentlicht die Kultusministerkonferenz (KMK) allerdings hierzu keine Zahlen.“ Die Untersuchung ergab, daß „der Anteil der Schüler aus anderen Ländern nahezu identisch mit dem der Schüler aus der Ukraine ist“.

Im Durchschnitt kamen fünf neu eingewanderte Kinder und Jugendliche an jede Schule. Insgesamt geben 77 Prozent der Schulleitungen an, daß Schüler mit wenig oder gar keinen Deutschkenntnissen aus anderen Ländern als aus der Ukraine an ihrer Schule aufgenommen wurden. Diese Kinder besuchen eher Einrichtungen des mittleren und unteren Bildungssektors. Auf ein Gymnasium gehen nur 0,7 Prozent von ihnen. 

Auffallend ist, daß die Betreffenden überdurchschnittlich häufig an Schulen unterrichtet werden, die sich auch so schon in sozial schwieriger Lage befinden und einen hohen Anteil von Einwandererkindern aufweisen. Die Studie kommt zu dem Schluß, daß gerade die Einrichtungen, die ohnehin mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert sind, mit der hohen Zahl neuer Zuwanderer stark beansprucht werden. Denn hier macht sich der Personalmangel abermals deutlich bemerkbar. Diese Schulen werden von der erforderlichen Bürokratie geradezu gelähmt. Schulleiter und Lehrer beklagen, sie müßten sich um zusätzliches Lehrmaterial kümmern, außerdem würden meistens die Stunden der Sprachförderlehrer als erstes gestrichen werden. Gut ein Viertel der befragten Rektoren sind daher der Meinung: Wir können keinen mehr aufnehmen.