Lang, lang ist’s her: Ich habe Prinz Harry zuletzt nach einer Polo-Partie gegen ein thailändisches Team gesprochen, vor bald zwanzig Jahren, wo er absolut mannschaftsdienlich Räume freigesperrt und anschließend ganz untadelige Gemeinplätze über das Wetter abgesondert hatte; sein Team bestand aus seinem Vater und seinem Bruder sowie einer Hilfskraft.
Danach habe ich ihn aus den Augen verloren bis auf … ach ja, dieses Foto von ihm im Januar 2005 in der Sun mit einer Hakenkreuzbinde am Arm auf einer Kostümparty, er ging beim Feiern eben immer in die Vollen.
Hätte ihn irgendwer bremsen können? Hätte ihn später vor allem irgendwer seiner woken Wiedertäuferin und Melodramatikerin Meghan, die er 2016 über Instagram kennenlernte, wieder entreißen können? Vermutlich nicht. Mir ging diese B-Prominente schon in der ansonsten achtbaren Fernsehserie „Suits“ trotz ihrer heißen Nummern auf dem Firmenkopierer mit dem, wie hieß er noch, egal, reichlich auf den Keks. Denn fest steht eines: Ohne diese Serienschauspielerin, die Oprah Winfrey für die wahre königliche Hoheit hält und jene alte der Briten in ihren letzten knochenkrebskranken Tagen für eine irgendwie total unhippe Nebendarstellerin, wäre er nicht in diesem Offenbarungssumpf gelandet, in dem er nun mit seinem soeben erschienenen Buch „Spare“ (dt. Reserve) feststeckt.
Es gibt ja diesen wunderbaren und sicher wirklichkeitsgetreuen Bilderwitz, in dem beide einer Paartherapeutin gegenübersitzen, und die Therapeutin fragt Harry, ob er sich von Meghan dominiert fühle, worauf Meghan antwortet: „Nein, tut er nicht.“
Obwohl hier eines in Betracht gezogen werden sollte: Harrys 1997 verstorbene Mutter Diana, die Königin der Herzen und der Schmerzen, Gott habe sie selig, hatte schon mal ordentlich vorgelegt, als sie vor aller Welt aus dem Nähkästchen plauderte im Interview mit Andrew Morton. Bulimie, Ehe zu dritt mit Charles’ Jugendliebe Camilla, Gehässigkeiten gegen Ehemann und Nebenbuhlerin, Selbstmordgedanken – die Kioske mit den bunten Blättern lebten fast ausschließlich von ihr.
Er allerdings, unser Harry, schon immer eine Stimmungskanone, wurde hier noch zusätzlich angefeuert von seiner Ehefrau und Geschäftspartnerin, die ihm, aufgewachsen mit kalifornischem Selbstentblößungstraining, die Kleenex-Schachtel zuschob und das Bandgerät einschaltete: Alles muß raus!
„Alles“ ist wörtlich zu vestehen. Also, sein Leiden über Frostbeulen an seinem Penis, die er sich am Nordpol zugezogen hatte und die ihm während der Hochzeit seines Bruders zu schaffen machten, die Prügelei mit ihm, die Traumatisierung über sein dunkles Zimmer im Kensington Palace und den Range Rover, den einer immer vor seinem Fenster abgestellt hatte. Aber auch Heldentaten, wie er im Afghanistankrieg aus einem Kampfhubschrauber heraus 25 Taliban abgeknallt hat, was ihm die muslimische Welt sicher nie vergessen wird. Schließlich wieder die rassistischen Äußerungen im Buckingham-Palast … ach so, nein, mittlerweile hat er zurückgenommen, daß man dort über die Hautfarbe seiner Kinder spekuliert habe, das war lediglich von der „Schweinepresse“ behauptet worden, denn eine ausführliche Untersuchung im Hause Windsor konnte keine Belege für die Behauptung finden.
Nicht, daß er nicht auch Verständnis zeigte für die seelischen Verwundungen anderer – so erzählt er „mit der Glaubwürdigkeit eines Piranhas“, so die britische Kolumnistin Julie Burchill, wie sein Vater immer noch (kicherkicher) den Teddybären seiner Kindheit mit sich herumtrage und wie er bei der Beerdigung seines Vaters, Prinz Philipps, gefleht habe: „Bitte Jungs, macht mir meine letzten Jahre nicht zur Hölle.“
Nun wird dieser leicht entrückte, aber nichtsdestotrotz würdevolle Royal zum zweiten Mal – nach der Ära der Supernova Diana – bis auf weiteres im Seifenopernkosmos herumzuschwirren haben, und das dank einer skrupellosen Göre, von der Julie Burchill vermutet, daß sie ihrem Ehegespons als Gute-Nacht-Geschichte Machiavellis „Der Fürst“ vorliest, „worin gesagt wird, daß auch unmoralische Mittel gerechtfertigt sind, um zu überleben und Ruhm zu erlangen.“
Rein geschäftlich scheint die Selbstdemontage aufzugehen – in den USA sollen mittlerweile 1,4 Millionen Exemplare abgesetzt worden sein, und auch bei uns setzte sich der Prinz in der Bestsellerliste vor die ebenso skrupellose Heulboje Kurt Krömer, der die Gäste seiner inzwischen aufgegebenen Talkshow schon mal als „blödes Arschloch“ begrüßte, um sie der Gesinnungsmeute zum Fraß vorzuwerfen.
Ja, die Lust an der Selbstentblößung wird von der jeweils letzten Generation nur noch von ihrer Weinerlichkeit übertroffen. Der Opfersound auch der Privilegiertesten ist die Fahrstuhlmusik der Stunde. Jeder, der sich im Scheinwerferlicht aufhält, klagt heutzutage über Depressionen oder hat einen Burnout – und keilt gleichzeitig unverdrossen gegen alle, die ihnen dafür ihren Tribut nicht entrichten wollen.
Insofern sind Prinz Harry und seine Meghan die Wappentiere der woken Phantasiewelt, in der eine wohlstandsverwahrloste Generation ihre Empfindungen zum Maßstab für alle macht. Natürlich sind sie umweltbewußt, natürlich ernähren sie sich vegan oder zumindest vegetarisch, und natürlich erlaubt ihnen ihr Gefühl, im Recht zu sein und auf seiten der Guten zu stehen, nahezu alles, auch zum Beispiel den militanten Widerstand gegen Ordnungskräfte, wie gerade eben in Lützerath geschehen.
Harrys Reflexionen über sein miserables Leben im goldenen Käfig sind ein Lehrbuch für alles, was derzeit falsch läuft in der Welt: eine Welt, die aus lauter Opfergruppen besteht, welche allesamt auf Sonder- und Vorzugsbehandlungen Anspruch anmelden und nervtötende und selbstgerechte Bannerträger ihrer eigenen Tugendhaftigkeit sind.
Diese woke Schneeflöckchen-Kultur, in der ständig Schutzräume aufgesucht werden müssen, hat inzwischen die ganze Gesellschaft und die Weltwahrnehmung korrumpiert. Gute Nacht, Abendland!