© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/23 / 20. Januar 2023

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Transparenz mit Nebenwirkung
Christian Vollradt

Die jüngsten Aktionen radikaler Klimaschützer beschäftigen den Bundestag – nicht nur, weil das Parlament selbst in deren Fadenkreuz geraten war, etwa als vermeintliche Besucher willkürlich Brandalarm auslösten (JF 43/22) oder Zufahrtswege versperrt wurden. Die Unionsfraktion hat zudem einen Antrag gestellt, der vorsieht, „Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter zu bestrafen“. 

Wie üblich finden die Beratungen darüber zunächst im zuständigen Rechtsausschuß statt. Und der hat – auch das gängige Praxis – für diese Sitzungswoche eine öffentliche Expertenanhörung anberaumt. Juristen aus Praxis und Hochschule, aber auch Vertreter von Polizeigewerkschaften sollen Stellung nehmen und sich den Fragen der Volksvertreter stellen. Schon im Vorfeld konnten Interessierte online die Liste der Fachleute und deren Argumente einsehen. 

Beim Blick auf diese Liste fällt auf, daß hinter jedem Namen eines Sachverständigen eine kleine Ziffer von 1 bis 5 notiert ist, die auf eine Fußnote verweist. Fußnote 1 lautet: „Auf Vorschlag der Fraktion der SPD zur öffentlichen Anhörung eingeladen.“ Fußnote 2: „Auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU …“ und so weiter bis zu Ziffer 5. Nun sind im aktuellen Bundestag allerdings sechs Fraktionen – und siehe da, eine fehlt tatsächlich: die AfD. Warum wurde ausgerechnet bei diesem Thema, das in der Partei viele umtreibt, niemand als Sachverständiger nominiert? Hat man im zuständigen Arbeitskreis der Fraktion seine Arbeit nicht gemacht? Nein, man hat schlicht niemanden in den Reihen der Rechtsgelehrten von Universitäten oder aus der Richterschaft gefunden, der bereit war, sich von der AfD-Fraktion nominieren zu lassen. Und zwar – so ist die naheliegende Begründung – genau wegen dieser unscheinbaren, aber möglicherweise nicht folgenlosen kleinen Fußnoten. 

Daß die nominierende Fraktion hinter den Namen der Sachverständigen auftaucht, ist Folge einer vor kurzem beschlossenen Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages. Auf Antrag der Ampel wurde unter dem wohlklingenden Oberbegriff der „Ausschußtransparenz“ der Paragraph 70 ergänzt um die Passage: „Im übrigen ist mit der Tagesordnung zu veröffentlichen, auf Vorschlag welcher Fraktionen die einzelnen Sachverständigen oder Auskunftspersonen zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen wurden.“ 

Die AfD, auf die das ganze Vorhaben kaum verhohlen zielt, stellte dem einen Antrag entgegen, der Vertraulichkeit forderte. Sachverständige sollten so vor Haß geschützt werden, gerade unter den Bedingungen einer an Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen um sich greifenden „Cancel Culture“. Zudem werde ohne Hinweis auf die einladenden Fraktionen die „Überzeugungskraft der Argumente gestärkt, der Eindruck der Überparteilichkeit bekräftigt“. Die Folge der neuen „Transparenz“ ist an diesem Mittwoch bereits praktisch spürbar gewesen. Die AfD sieht darin eher einen Pranger, der sie als Opposition in ihrer Arbeit gegenüber den anderen benachteiligt.