© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/23 / 20. Januar 2023

Mehr Partei als Soldat
Von wegen „fest im Sattel“: Nach dem Rücktritt von Lambrecht wird Pistorius neuer Verteidigungsminister
Christian Vollradt

Einem dem Schriftsteller Mark Twain zugeschriebenem Bonmot zufolge sind Prognosen vor allem dann schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen. Wie wahr das ist, belegt die Überschrift „Bombenfest im Sattel“ in der vorigen Ausgabe der JUNGEN FREIHEIT, als es um die Chancen der Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ging, trotz Fehltritten und Pannenserie im Amt zu bleiben. Just erschienen, machten erste Gerüchte die Runde, die Politikerin werde ihren Rücktritt einreichen, was sich dann am Montag bestätigte. 

Schuld am Scheitern  auf Medien geschoben

Daß unterdessen, wie im Artikel dargelegt, von Bundeskanzler Olaf Scholz selbst offensichtlich keine Initiative für einen Wechsel an der Leitung des Bendlerblocks ausging, da er angesichts der Schwäche dort die Verteidigungspolitik samt den Entscheidungen über Waffenlieferungen in die Ukraine vermehrt ins Kanzleramt herüberziehen konnte, wird auch noch einmal durch das seltsam ratlos wirkende Gebaren der Koalitionäre am vergangenen Wochenende unterstrichen. Der Eindruck drängte sich auf, daß eine geordnete Amtsübergabe in aller Stille an einen bereits auserkorenen Nachfolger nicht vorbereitet war. 

So dilettantisch ihre Amtsführung, so vermurkst verlief also auch Lambrechts Rücktritt, der vorab an die Bild-Zeitung durchgestochen worden war. Die offizielle Erklärung, die das Ministerium am Montag verbreitete, sorgte für weiteres Kopfschütteln: „Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person läßt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu“, begründet Lambrecht ihren Rückzug vom Amt. Zusammengefaßt: Die Medien sind schuld. Erst danach kommt sie auf die „wertvolle Arbeit der Soldatinnen und Soldaten und der vielen motivierten Menschen zu sprechen, die eigentlich im Vordergund stehen muß“. Daß die kritische Berichterstattung nicht aus heiterem Himmel kam, sondern von der ministeriellen Fettnäpfchen-Parade (JF 3/23) ausgelöst wurde, erwähnte Lambrecht nicht. 

Erst einen Tag nachdem die mittlerweile zweite Ministerin des Kabinetts „Scholz I“ von der Fahne gegangen war, stand der Nachfolger fest: Boris Pistorius, bis dato – in der dritten Amtszeit – Innenminister Niedersachsens. Wieder einmal beweist sich das Land als personelle Kraftreserve der Sozialdemokraten. Der Landespolitiker mit bundesweiter Bekanntheit ist für den Bundeskanzler die nahezu ideale Lösung: führungserfahren und mit gleichermaßen rotem Stallgeruch wie auch dem Ruf ausgestattet, ein Mann fürs Robuste zu sein. Dienstgrade bringt er sicherlich nicht durcheinander, falsches Schuhwerk beim Truppenbesuch dürfte ausgeschlossen sein. Daß Pistorius Anfang der Achtziger seinen Wehrdienst geleistet hat, ist sicherlich hilfreich, entscheidender ist, daß er mit seinen 62 Jahren relativ gelassen auf dem Schleudersitz im Verteidigungsministerium Platz nehmen kann. 

Freilich hat er im Sinne der Parität das falsche Geschlecht; doch – welch Überraschung – scheint das in Krisenzeiten allem Gemoser aus den Reihen des grünen Koalitionspartners zum Trotz nicht mehr ganz so entscheidend zu sein. 

Kritik an der Personalentscheidung kam aus den Reihen der Opposition. Dem Juristen aus Osna-

brück fehlten sicherheitspolitische Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr, monierte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU). Auch der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen, kritisierte das Übergewicht von Parteilogik gegenüber dem Wohl des Landes: Erneut bekomme die Bundeswehr statt eines Experten „einen weiteren Parteisoldaten ohne Fachkompetenz und Affinität zu unseren Streitkräften“.