Die Bauwirtschaft gilt als Motor der Konjunktur, aber der Motor stottert. Was sich in Deutschland gerade am Bau abspielt, läßt zwei Dinge befürchten: Die Suche nach Wohnraum wird immer schwieriger, wofür auch eine starke Nachfrage durch Zuwanderung sorgt, und die Konjunktur wird so schnell nicht wieder auf die Beine kommen. Aus der Bauwirtschaft kommt eine Horrormeldung nach der anderen: Das reale Bauvolumen ging im letzten Jahr zurück, die Zahl der neuen Aufträge sinkt massiv, Baumaterial ist knapp, und die Zinsen lassen die Baukosten steigen.
Nach den Durchschnittszahlen sieht eigentlich noch alles ganz gut aus. Ende 2021 gab es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 43,1 Millionen Wohnungen – eigentlich genug für die 41 Millionen Haushalte. Doch während in ländlichen Regionen mit geringem Arbeitsplatz- und Freizeitangebot große Wohnungsleerstände zu verzeichnen sind, sieht es in Ballungsgebieten und in deren Umland ganz anders aus. Es wird auch gerne vergessen, daß über zehn Prozent des Wohnungsbestandes (4,3 Millionen Wohnungen) als technisch und wirtschaftlich nicht sanierbar gelten und eigentlich abgerissen werden müßten.
Private Initiativen sind in der Koalition unerwünscht
Die Neubauzahlen halten schon lange nicht mehr mit dem Bedarf Schritt. Nach Angaben des renommierten Pestel-Instituts wurden im Jahr 2020 306.376 Wohnungen erstellt. 2021 waren es nur noch 293.393. Vom Ziel von Bundesministerin Klara Geywitz (SPD), pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu errichten, ist man weiter entfernt denn je. Auch eine ausufernde Bürokratie setzt der Bauwirtschaft zu: Dauerte es von der Projektierung bis zur Fertigstellung 2014 noch drei Jahre, so sind es inzwischen fünf Jahre.
Die Situation am Wohnungsmarkt sei dramatisch, erklärte der Präsident des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, bei einem gemeinsamen Auftritt mit Caritas und Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt. Unter Bezugnahme auf das Pestel-Gutachten sprachen die Organisationen von 700.000 fehlenden Wohnungen und einer drastisch gestiegenen Nachfrage.
Warum die so stark gestiegen ist, wird bei der Lektüre der Studie auch klar: „Mit einem Wanderungsgewinn in Höhe von 1,25 Millionen Personen in den ersten neun Monaten nimmt das Jahr 2022 eine herausragende Position ein.“ Zum größten Teil des „Wanderungsgewinnes“ trugen im vergangenen Jahr rund 1,045 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine bei sowie die auf 244.132 gestiegene Zahl von Asylbewerbern, was rund 53.000 mehr waren als im Vorjahr. Allein 217.774 Erstanträge auf Asyl von Januar bis Dezember 2022 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entgegengenommen. Dies bedeutet eine Zunahme der Antragszahlen um 46,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
All diese Menschen brauchen Wohnungen. Die wachsende Zahl von Single-Haushalten in Deutschland verstärkt den Wohnungsbedarf weiter. Noch 1995 wurden in Deutschland rund 35 Millionen Haushalte gezählt. Bis 2045 soll diese Zahl auf 44 Millionen steigen.
Zahlreiche Probleme erschweren den Neubau und bringen potentielle Bauherren an den Rand der Verzweiflung. So sind die Grundstückspreise in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. Zur Kostensteigerung trägt auch die von allen Ländern massiv erhöhte Grunderwerbsteuer bei. Baumaterial war im November letzten Jahres fast 30 Prozent teurer als im November 2021.
Zudem gibt es Personalprobleme: „Auch wenn die Bauwirtschaft seit 2012 mehr als 200.000 Beschäftigte zusätzlich eingestellt und die Ausbildungszahlen um 25 Prozent gesteigert hat, zählen viele Bauberufe zu den sogenannten Engpaßberufen. Bis 2030 fehlen dem Bau altersbedingt 120.000 Fachkräfte“, heißt es in einer Erklärung des Zentralverbandes des deutschen Baugewerbes. Es ist schon paradox: Millionen Menschen strömen nach Deutschland, und auf dem Bau fehlt es an Arbeitskräften; dabei werden auch ungelernte Arbeiter händeringend gesucht. Die Lösung der Bauministerin: ein verstärkter Einsatz von Robotern auf Baustellen.
Mieterbund, Caritas und Baugewerkschaft fordern von der Bundesregierung ein Programm von 50 Milliarden Euro zum verstärkten Bau von Sozialwohnungen, die in den vergangenen Jahrzehnten kaum noch errichtet wurden. Der Schwerpunkt der Ampelkoalition liegt jedoch bei der Bekämpfung der Folgen des Klimawandels auch in der Wohnungswirtschaft. Zehn Milliarden Euro Zuschüsse gab es im vergangenen Jahr, aber nur wenn die Neubauten besonders energieeffizient waren. Jetzt soll das Geld vor allem in die energetische Sanierung des Wohnungsbestands fließen. Für die Förderung von Neubauten ist nur noch rund eine Milliarde Euro vorgesehen, ein Tropfen auf den heißen Stein.
Zwar wurden die Abschreibungsbedingungen für den Mietwohnungsbau mit Beginn des Jahres 2023 verbessert, aber private Initiativen sind in der Ampelkoalition trotz FDP-Beteiligung unerwünscht. Das überaus stark nachgefragte Baukindergeld, ein Zuschuß zum Erwerb von privatem Wohneigentum, ließ die Koalition auslaufen, weil das Geld vor allem für den Bau von Einfamilienhäusern nachgefragt wurde. Diese Häuser sind besonders für Grüne aus Klimaschutzgründen und wegen des Flächenverbrauchs ein Stein des Anstoßes. Bauministerin Geywitz sitzt jetzt wieder auf das Mittel verbilligter Kredite für Bauwillige durch die Staatsbank KfW. Das für dieses Jahr angepeilte Volumen von 350 Millionen Euro ist allerdings lächerlich gering.
Eine Förderung des Wohnungserwerbs und Hausbaus durch Reduzierung der persönlichen Steuerlast (ehemalige Paragraphen 7b und 10e des Einkommensteuergesetzes), die in früheren Jahrzehnten Millionen von Bundesbürgern den Traum von den eigenen vier Wänden verwirklichen half, kommt für die Koalition nicht in Frage. In alter sozialistischer Manier setzt man auf staatliche Planung und Programme, während die Privatinitiative schlußendlich noch durch die massiv gestiegenen Zinskosten erstickt wird. Den Horrormix aus hohen Grundstückspreisen, Steuern, überbordender Regulierung, Inflation und Baukosten verkraften viele Bauherren nicht mehr. Mit der Folge, daß sogar halbfertige Häuser wieder verkauft werden müssen.