Es gäbe gute Gründe für die Bundesregierung, sich Forderungen nach Panzerlieferungen an die Ukraine zu verweigern. Die Ukraine braucht einen Waffenstillstand und Frieden. Die werden durch Verhandlungen erreicht. Waffenlieferungen verlängern den Zermürbungskrieg, den Rußland nicht gewinnen, aber auch nicht verlieren kann; der die Ukraine jedenfalls in ein Trümmerfeld und ein Armenhaus verwandelt, dem die Menschen entfliehen. Darunter auch wehrpflichtige Männer; 12.000 sollen bisher versucht haben, dem Krieg durch Flucht ins Ausland zu entkommen.
Panzerlieferungen werden Deutschland noch tiefer darin verstricken. Bereits jetzt sind die Schäden riesig. Die Nord-Stream-Leitungen wurden weggesprengt, die Energiepreise gehen nach oben, bezahlbarer Wohnraum ist hierzulande kaum noch zu bekommen, was angesichts einer siebenstelligen Zahl von Kriegsflüchtlingen kein Wunder ist.
Wenn irgendwo ein Krieg beginnt, schwärmen gewöhnlich Vermittler aus, um Kompromisse zu sondieren, das humanitäre Elend einzudämmen und einem Flächenbrand vorzubeugen. Im Ukraine-Krieg wird dagegen ein Siegfrieden propagiert und die Gefahr der Eskalation hingenommen. Die Beschwörung eines Atomkriegs mag übertrieben sein. Trotzdem mutet es schizophren an, daß Deutschland, das bis 1989 in der Furcht gelebt hatte, in einem Konflikt zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt zum exklusiven Schauplatz eines atomaren Schlagabtauschs zu werden und das aus Furcht vor nuklearer Verstrahlung seine AKWs abschaltet, das Risiko einer atomaren Eskalation ignoriert.
Der Krieg, dem Deutschland sich mit Haut und Haaren verschreiben soll, ist im Kern ein Stellvertreter- und Imperialkrieg, auf dessen Zielsetzung es keinen Einfluß hat. Rußland als Erbe einer gescheiterten Supermacht wehrt sich dagegen, zu einer von den USA domestizierten „Regionalmacht“ (Barack Obama) herabgestuft zu werden. Die USA waren schon vor 1989 entschlossen, sich die Herrschaft über Eurasien als „geopolitischen Siegespreis“ (Zbigniew Brzezinski) zu sichern. Jetzt haben sie die Chinesen als den neuen geopolitischen Konkurrenten im Blick und wollen erst recht ihr Terrain auf der eurasischen Landmasse vergrößern. Europa bildet dabei ihren „Brückenkopf“, die Ukraine das aktuelle „Schachbrett“ (Brzezinski).
Würde Rußland wie gewünscht eine vernichtende Niederlage erleiden, könnte die Moskauer Zentralgewalt implodieren und der Vielvölkerstaat auseinanderfallen. Kriegerische Konflikte noch gewaltigerer Art würden folgen. Schon diese Horrorvision müßte Grund genug sein, auf Deeskalation statt auf Sieg zu setzen.
Dazu wird es vorerst nicht kommen. Wie sollte die Bundesregierung, die es nicht einmal wagt, der Sprengung der Ostsee-Pipelines auf den Grund zu gehen, gegen die Lieferung von Leopard-Panzern votieren? Es wirkt symbolhaft, daß das nächste Nato-Treffen, das sich mit der militärischen Unterstützung der Ukraine befaßt, auf der US-Luftwaffenbasis in Ramstein stattfindet: Der Hegemon hält Hof in seiner deutschen Kaiserpfalz und Heerschau über die Getreuen.
Die Bundesrepublik hat seit 1990 alles getan, um sich militärisch, politisch, intellektuell, neuerdings sogar ökonomisch als ernstzunehmende Größe aus dem Spiel zu nehmen. Sich jetzt aus der Hanswurst-Position zu verweigern, hieße, sich völlig zu isolieren und Bismarcks „Cauchemar des coalitions“ in neuer Aufstellung Wirklichkeit werden zu lassen. Wir werden daher weiter tun, was uns beschädigt.