Seit Beginn des Ukrainekrieges steht eine liberale Doktrin im Kreuzfeuer, die ein Herzstück des euroatlantischen Selbstverständnisses ist: „Wandel durch Handel“. Diese Ideologie sei gescheitert, rief der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil aus, weil die beschworene „Freiheit des Welthandels“ nicht den davon erwarteten Weltfrieden herbeigeführt und Handelspartner nicht per Zauberhand in „Partnerdemokratien“ verwandelt habe. Den Regensburger Politologen Oliver Weber, der über die Ideengeschichte des Eigentumsbegriffs im Frühliberalismus promoviert, überrascht Klingbeils Enttäuschung nicht. Von ökonomischen Freiheiten politische Fortschritte zu erwarten und daran zu glauben, daß der Handelsgeist zum Frieden geneigt mache, zähle seit dem 18. Jahrhundert zwar zu den fundamentalen Überzeugungen der bürgerlichen Gesellschaft (Philosophie Magazin, 6/2022). Die beruhe aber auf einer Verkennung ihres Ursprungs in der merkantilistischen Wirtschaftspraxis, deren Ziel es war, mit dem Freihandel die Finanzreserven des Staates aufzustocken, um in der militärischen Machtkonkurrenz in Europa bestehen zu können. War hier der Friede Bedingung des Handels, war der Handel Quelle der Kriegsfinanzierung. Wirtschaftliche Verflechtung habe daher noch nie von selbst den Weg in Richtung Frieden gebahnt.