© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/23 / 13. Januar 2023

Gestrig geblieben und Spaß dabei
Blick auf einstige Epochen: Morgan Donner hat sich auf Youtube der Herstellung alter Gewänder verschrieben
Tobias Dahlbrügge

Morgan Donner ist ein Youtube-Star: Ihr Kanal hat über 300.000 Abonnenten, ihre Videos erreichen Traum-Klickzahlen. Zeigt sie spektakuläre Auto-Stunts oder „lustige“ Unfälle? Nein, es geht um Handarbeit, vor allem ums Nähen. Die junge Amerikanerin betreibt gewissermaßen experimentelle Geschichtsforschung: sie fertigt Kleider, Accessoires und Frisuren vergangener Epochen. Das begeistert offenbar Scharen zivilisationsmüder Geschlechtsgenossinnen.

Die Extrem-Näherin hat nach eigenen Angaben mit elf Jahren mit der eigenen Textilherstellung begonnen, und nachdem sie „bergeweise mißratene Versuche“ produziert hat, ist sie inzwischen ein Vollprofi. Donner studiert historische Quellen, wälzt antiquarische Bücher und schaut opulente Ausstattungsfilme. Von Neugier inspiriert, greift sie dann zu Nadel und Faden.

So entstehen authentische Mittelalter-Gewänder, Cocktail-Kleider der wilden Zwanziger, viktorianische Mieder oder die Original-Outfits aus bekannten Fantasy-PC-Spielen. Dazu frisiert sie sich auch gleich noch die passende Haarmode der jeweiligen Zeit.

Kürzlich zeigte die Retro-Influencerin ein Belle-Epoque-Kostüm, das sie dem Filmepos „Titanic“ entliehen hatte. Das gefiel bisher über 130.000 Zuschauern. Auch das Zeitalter Queen Victorias fasziniert Donner, dazu gibt sie gerne einen Schuß Gothic-Stil. Das Ergebnis würde jeden „Steampunk“-Fan zu einem Heiratsantrag hinreißen. Doch ihr Geschichtsinteresse endet nicht bei der Modeschöpfung. Sie erforscht altertümliche Materialien und Fertigungsmethoden und versuchte sogar, ihr Essen zum Outfit in einem keltischen Kupferkessel über dem Feuer zuzubereiten.

Schon sind ihr Nachahmerinnen wie Nicole ­Rudolph (124.000 Abonnenten) dicht auf den Fersen. In den USA ist bereits ein eigenes Youtube-Genre um solche „Tradwives“ entstanden: Ehefrauen, die nicht nur traditionelle Damenbekleidung, sondern auch ein traditionelles Rollenbild präferieren. Das zeigt, daß zeitgenössische Mode offenbar eher fragwürdig ist, die Eleganz der Klassiker niemals stirbt und die Sehnsucht nach einem „Gute alte Zeit“-Gefühl heute stärker denn je ist.