Gewisper und Geraune vor den sorgfältig arrangierten Kaffeegeschirren mit Blümchen- oder Zwiebelmuster auf dem riesigen Tisch und in den Vitrinen. Ältere Damen tauschen ihre Erinnerungen aus. Ihre Ehemänner sind ebenfalls verzückt, gehen in die Knie, beugen die Oberkörper, recken die Köpfe, um die Markenzeichen unter den Tellerchen und Tassen zu begutachten. Andere schauen verträumt auf Mokkatassen mit gerippter Wandung, durchbrochene Zierteller mit handgemalten Blumenmotiven im Meissner Stil, Zierdosen mit geätztem Mattgold, Aschenbecher, Kinderteller, Tassen im Stil des Klassizismus, auf ein Service mit Kaffee- und Kakaokanne in Maiglöckendekor oder einen Teller mit der Aufschrift „Mensch ärgere dich nicht“. Eine Blütezeit der Porzellankunst brachten die 1920er Jahre: Skurrile Art-deco-Formen, die Funktion fast in Frage stellend, wurden von Porzellankünstlern mit geometrisch strengen wie auch spielerischen Dekoren kombiniert, boten immer neue Überraschungen.
Kein Zweifel, das Porzellanland Schlesien – so auch der Titel der bis zum 26. Februar im Schlesischen Museum zu Görlitz zu bewundernden Sonderschau – zieht die Besucher in seiner Schönheit und Vielfalt sofort in seinen Bann, schmeichelt den Augen, weckt Erinnerungen. Auch weil vielleicht einige der ausgestellten Stücke jenen gleichen, die in der eigenen Wohnzimmervitrine als gehütetes Erbstück stehen, schon Großeltern, Tanten und Onkel durch ihr Leben begleitet haben.
Die Ausstellung zeigt Sammeltassen mit Stadtansichten, Geschenktassen mit Sprüchen wie „Ein fester Blick, ein hoher Mut, die sind zu allen Zeiten gut“, „Blumen sind an jedem Weg zu finden, doch nicht jeder weiß den Kranz zu winden“ oder dem einfachen Rat „Lebe glücklich“ aus den Porzellanfabriken Freiwaldau, Königszelt, Krister oder Tielsch oder Weihnachtsteller der Firma Ohme, die zwischen 1923 und 1929 alljährlich mit anderen Motiven aus dem Riesengebirge – 1925 etwa mit einer Ansicht der Kirche Wang bei Krummhübel oder 1927 mit einer Abbildung der Heiligen Familie auf der Suche nach einer Herberge und der Schneekoppe im Hintergrund –, aber stets mit dem Wunsch „Frohe Weihnachten“ aufwartete.
Sammler trugen Puzzlestück für Puzzlestück wieder zusammen
Schlesien war bis 1945 berühmt für sein preiswertes, aber trotzdem qualitativ hochwertiges Gebrauchsporzellan. Ein Ruhm, der seltsamerweise mit dem Verlust der Region an Polen weitgehend in Vergessenheit geriet. So bedurfte es erst Sammler wie Gerhard und Margret Schmidt-Stein sowie Adelheid Schmitz-Brodam, die in Jahrzehnten mühevoller Detektivarbeit Puzzlestück für Puzzlestück deutscher Industriegeschichte wieder zusammentrugen, die nun im Görlitzer Museum von den Kuratoren Martin Kügler und Alexander Szalapski zu einem Ganzen geformt wurden.
Eine schöne Schale, in der eine Verwandte Gebäck anbot, war für das Ehepaar Schmidt-Stein Anstoß, sich intensiv mit schlesischem Porzellan zu beschäftigen. Die Marke auf der Schale nannte zwar Carl Tielsch in Altwasser als Hersteller, doch weitere Informationen über ihn und die Porzellanproduktion gab es keine. In der Forschung sei Schlesien in den 1970/80er Jahren – immerhin einst eine der vier großen Porzellanregionen des Deutschen Reichs – noch völlig unbekannt gewesen, sagt Kügler. Fortan hielten die Schmidt-Steins nicht nur Ausschau nach schlesischem Porzellan, sondern auch nach historischen Informationen über die Produzenten, die sie in der Publikation „Schlesisches Porzellan vor 1945“ zusammenfaßten.
Ihre Sammlung von fast 1.500 Services, Gedecken, Schalen, Ziertellern, Vasen usw. – insgesamt rund 10.000 Einzelteile – schenkte das Ehepaar samt ihrem einzigartigen wissenschaftlichen Archiv 2021/22 dem Schlesischen Museum zu Görlitz. Da die Sammler nicht die einzigen waren, die das Museum bedachten, besitzt es inzwischen mehr als 15.000 Stück schlesischen Porzellans – die größte Sammlung weltweit.
Experten konnten hochwertige Porzellane kaum unterscheiden
Gezeigt werden derzeit ausgewählte Stücke aus der Sammlung Schmidt-Stein sowie die von der Firma Carl Tielsch gefertigten Schätze, die Schmitz-Brodam in einem halben Jahrhundert zusammengetragen hat – mehr als 850 Service, Gedecke und Einzelstücke – und ebenfalls dem Museum übereignete – eine schier unermeßliche Fülle an Formen und Dekoren der Porzellane dieser für lange Zeit größten Porzellanfabrik Deutschlands.
Daß Schlesien überhaupt Porzellanland wurde, ist einerseits der Einführung der Gewerbefreiheit ab 1810 in Preußen zu verdanken, andererseits dem Niedergang der traditionellen Textilindustrie. Neben dem reichen Vorkommen an Kaolin aus Tongruben, Feldspat und für den energieintensiven Herstellungsprozeß benötigtem Holz und später Steinkohle, standen seit den 1840er Jahren Arbeitskräfte in großer Zahl und zu niedrigen Löhnen zur Verfügung. Zwischen 1820 und 1945 entstanden fast 50 Porzellanfabriken mit unterschiedlicher Lebensdauer, darunter die größten und modernsten Deutschlands.
Das schnelle Wachstum einiger Firmen ist auf die industrielle Fertigung sowie auf zahlreiche Innovationen zurückzuführen. So konnten in modernen Tunnelöfen Geschirre gleichmäßig gebrannt werden. Die Befeuerung wurde erst von Holz- auf Steinkohle und später auf Gas umgestellt. Und die Investoren errichteten ihre Fabriken meist in der Nähe von Rohstoffvorkommen und der Eisenbahn, die den Import weiterer Rohstoffe und die Ausfuhr fertiger Erzeugnisse zu den wichtigsten Absatzmärkten ermöglichte.
Die schlesischen Produzenten setzten auf eine breite Produktpalette, beobachteten genau den Markt und schreckten auch nicht vor genauen Kopien erfolgreicher Serien der Mitbewerber zurück. Die Schwertmarke der Firma Donath führte beispielsweise 1893 zu einem Rechtsstreit mit der berühmten Porzellan-Manufaktur in Meißen. Diese argumentierte, daß das „S“ in der Marke Donath vor allem im Ausland als Abkürzung für Sachsen anstatt Schlesien verstanden werden könne. Tatsächlich konnten die hochwertigen Porzellane selbst von Experten kaum unterschieden werden. Das Gericht entschied zugunsten von Donath, das kaiserliche Patentamt verweigerte dennoch die Eintragung der Marke. Daher durfte ab 1896 die mißverständliche Marke nicht mehr verwendet werden.
Noch unverfrorener ging die Krister Porzellan-Manufaktur in Waldenburg vor, die als Markennamen kurzerhand die Abkürzung KPM wählte, wohlwissend daß die etablierte Königliche Porzellan-Manufaktur in Berlin ebenfalls diesen Buchstaben nutzte. Andererseits wurden auch Marken schlesischer Hersteller auf nichtschlesisches Porzellan aufgetragen.
Gefälscht wurden beispielsweise die in den USA besonders beliebten Produkte der Marke Schlegelmilch in Tillowitz, die bis zu 95 Prozent ihrer Produktion ins Ausland lieferte. Auch die dünnen und transparenten Zier- und Luxusporzellane, die Hermann Ohme herstellte, wurden in den USA unter dem Namen „Old Ivory“ zum Synonym für schlesisches Porzellan und werden bis heute intensiv gesammelt. Allerdings endete die Geschichte dieser „edelsten Erzeugnisse der deutschen Porzellanindustrie“ – so eine Eigenwerbung von 1927 – bereits 1929, als Ohme im Zuge der Weltwirtschaftskrise Konkurs anmelden mußte. Auch Steinmann und Tielsch produzierten Serien nur für den Export.
Neben Luxusporzellan stellte der Kaufmann und Bankier Carl Tielsch in seiner 1845 gegründeten Porzellanfabrik vor allem Gebrauchsporzellan zu erschwinglichen Preisen her. Bereits um 1850 verließen das Werk eine Million Stück Weißporzellan. Und 1863 war Tielsch mit rund 1.400 Mitarbeitern und 28 Brennöfen Deutschlands größtes Porzellanwerk. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Produktion von 1952 bis 2011 unter dem Namen „Walbrzych“ fortgesetzt. Und hinter dem Namen „Cermika T.“ verbirgt sich nichts anderes als die frühere Porzellanfabrik Schlegelmilch, hinter „Karolina“ das einst drittgrößte Porzellanwerk Schlesiens, Königszelt. Auch das Kaffeeservice „Friederike“ mit seinem handgemalten Dekor in kobaltblau und mit goldenen Blättern, die Ikone der niederschlesischen Porzellanproduktion, wird seit 1934 in unveränderter Form hergestellt, allerdings seit 1945 unter dem Namen „Fryderyka“. Krister, Tielsch, Ohme, Schlegelmilch und Königszelt sind die bedeutendsten schlesischen Hersteller, die mit ihren Produkten wesentlich dazu beitrugen, daß „dieses einst den Eliten vorbehaltene besondere Material im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Gebrauchsgut breiter Schichten der Bevölkerung und fester Bestandteil einer bürgerlichen Eßkultur wurde“, betont Kurator Kügler. An diese erinnerte auch Jens Baumann, der als Vertriebenenbeauftrager des Freistaates Sachsen die Ausstellung finanziell unterstützen durfte: Kultur sei auch Tischkultur mit gutem Geschirr, Stoffservietten, den richtigen Gläsern zu den richtigen Getränken. Das sei gerade heute wichtig, um unvoreingenommen miteinander ins Gespräch zu kommen.
Die Ausstellung „Porzellanland Schlesien“ ist bis zum 26. Februar im Schlesischen Museum zu Görlitz, Brüderstraße 8, dienstags bis donnerstags von 10 bis 17 Uhr, von Freitag bis Sonntag bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog kostet 15 Euro.