© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/23 / 13. Januar 2023

Psychologische Einübung ins Krisenzeitalter
Glücklich ist, wer vergißt
(dg)

Krisenzeiten, wie sie viele Bundesbürger spätestens seit dem „Willkommenssommer“ 2015 durchleiden, bescheren Psychologen und Psychotherapeuten volle Terminkalender. Für Moritz Wiegand, Chefarzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Imland-Klinik in Rendsburg, muß sich dieser für seine Branche einträgliche Trend aus dem „Jahr der Sorgen 2022“ allerdings nicht zwangsläufig 2023 fortsetzen. Vorausgesetzt, die Menschen lernten, besser mit ihren „negativen Gedanken“ umzugehen, so daß sie nicht richtungslos in den Teufelskreis einer „gedrückten und ängstlichen Gesamtstimmung“ führten. Damit kollektive „Depressivität“ nicht, was zu befürchten sei, ein „subklinisches Level“ erreiche, müßten Menschen, die sich angesichts von „Krankheit, Krieg, Krise“ einem „Gefühl der Ohnmacht“ hingeben, lernen zu akzeptieren, daß die großen politisch-ökonomischen Entwicklungen ohnehin außerhalb ihrer Macht stünden. Stattdessen sollten sie sich, um „vom Grübelns ins Handeln“ zu kommen, genau überlegen, wo sie im kleinen Rahmen die Dinge zum Besseren wenden könnten. So sei der Einzelne allein zwar nicht in der Lage, „die Klimakrise“ zu lösen. Aber es erspare ihm die aus dieser Ohnmachtserfahrung resultierende Frustration, wenn er morgens statt mit dem Auto mit dem Rad ins Büro fahre. Wie die gegenwärtig anschwellenden Papierfluten an psychologischer Lebenshilfe-Literatur zum inneren Einverständnis mit dem schlechten Status quo raten, so setzt auch Wiegand systemstabilisierend auf die bewährte Operetten-Weisheit: „Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist.“ (Schleswig-Holsteinische Landeszeitung vom 3. Januar 2023). 


 www.shz.de