© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/23 / 13. Januar 2023

Das Überleben in einer grünen Kriegswirtschaft
Wirtschaftsliteratur: Sind kapitalistisches Wachstum und Klimaschutz unvereinbar? Staatliche Rahmensetzung statt Kommandowirtschaft
Dirk Meyer

Ulrike Herrmanns neuestes Buch benennt den Kapitalismus und eine immanent auf Wachstum angelegte Wirtschaftsweise als ursächlich für eine drohende globale Klimakatastrophe. Bereits der Untertitel „Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“ weist den Gang ihrer Analyse: Eine auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsordnung stößt mit ihrem Verbrauch von Umweltressourcen an Grenzen. Deshalb könne die Klimawende auch nicht über weiteres Wachstum vollbracht werden.

Vielmehr sei Verzicht angesagt: Von allem generell weniger und dies zum Teil anders – Verbot von Flügen, Zuteilung von Wohnraum, limitierter Fleischkonsum oder das Geschäftsmodell der „Sharing Economy“. Die britische Kriegswirtschaft ab 1939 sieht Herrmann als Vorbild für eine „Überlebenswirtschaft“, denn: „Fast über Nacht entstand eine Planwirtschaft, die bemerkenswert gut funktionierte. Die Fabriken blieben in privater Hand, aber der Staat steuerte die Produktion – und organisierte die Verteilung der knappen Güter. Es wurde rationiert, aber es gab keinen Mangel.“

Sinkendes Konsumniveau, kommende Verteilungskämpfe

Die studierte Historikerin und langjährige taz-Wirtschaftsredakteurin mit abgeschlossener Lehre als Bankkauffrau schreibt überaus engagiert und kenntnisreich in geschichtlichen und technischen Detailfragen. Allerdings stellen zwei grundlegende Kritikpunkte ihre – auch medial hochgelobten – Thesen in Frage. Ein erster Einspruch betrifft die Notwendigkeit eines Verzichts zur „Klimarettung“, der automatisch mit einer Schrumpfung der Wirtschaft und einem Abbau von Arbeitsplätzen einhergehen würde. Damit stellt sich Herrmann, die ihre Mitgliedschaft bei den Grünen nach öffentlicher Kritik aus Gründen der redaktionellen Unabhängigkeit ruhen läßt, gegen die Prognose dieser Partei, daß die „Klimawende“ durchaus mit einer prosperierenden Wirtschaft zu verbinden sei.

Richtig dürfte ihr Hinweis auf ein absinkendes Konsumniveau sein, denn der Klimaschutz macht Reparatur- und Vorsorgeleistungen sowie Doppelstrukturen (Dunkelflaute) notwendig. Die hierfür eingesetzten Produktionsmöglichkeiten müssen anderen Verwendungen entzogen werden. Dieser „Klimaabschlag“ wird unseren Lebensstandard einschränken, ihn zumindest verändern. Ähnlich der Inflation gibt es jetzt einen Kaufkraftverlust durch Klimaschutz. Allerdings kommen CO2-Vermeidungstechnologien hinzu, wie eine Stromproduktion durch Solar- und grüne Wasserstofftechnologien, Gebäudesanierungen und neue Mobilitäten.

Diese fließen als Wertschöpfung in das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein und schaffen neue Arbeitsplätze. Wachstum ist deshalb nicht nur möglich, sondern sogar hoch erwünscht, damit die Verzichtskosten niedrig bleiben und Verteilungskämpfe ausbleiben, deren Problem auch Herrmann sieht. Zudem sind Krisen bzw. geänderte Knappheiten der Motor für technischen Fortschritt. Es locken hohe Gewinne für diejenigen Unternehmen, die tragfähige Lösungen entwickeln. So hat laut Umweltbundesamt infolge steigender Energiepreise die Energieintensität gemessen am Wert der erzeugten Güter in Deutschland zwischen 1990 und 2020 um 54 Prozent abgenommen. Ähnliche Entwicklungen lassen CO2-Einsparungen erwarten.

Der zweite Einwand richtet sich gegen den Wechsel von einer Markt- und Preissteuerung hin zu einer „Überlebenswirtschaft“ als planwirtschaftliche Kommandowirtschaft nach dem Vorbild der britischen Kriegswirtschaft zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. Staatliche Anordnung und Zuteilung ersetzte hier die dezentrale Steuerung der Marktteilnehmer über Preise. Während die Verfügungsgewalt über den Produktionsmitteleinsatz auf den Staat übergehen würde, sollen die Unternehmen weiterhin in privater Hand bleiben. Doch wer trägt das Risiko, wer haftet für Verluste bei staatlicher Anordnung – sprich des Bundeswirtschaftsministeriums unter der Leitung von Robert Habeck?

Zwei wesentliche Rahmenbedingungen unterscheiden eine durchaus zielführende staatliche Kriegswirtschaft von einer zentralistischen „Überlebenswirtschaft“. Zum einen ist die Konzentration der Kräfte für eine Kriegsführung zeitlich begrenzt. Zum anderen geht es hier vornehmlich um die Produktion von Militärgütern weitgehend vorhandener Typen sowie um die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern, insbesondere Nahrungsmitteln.

Demgegenüber setzt die Lösung der Klimakrise einen Strukturwandel voraus. Gefragt sind neue Technologien zur Einsparung von klimaschädlichen Gasen in der Erzeugung von Strom und Wärme, neuartige Baustoffe und generell klimafreundlichere Produktionstechnologien. Erfahrungen der ehemaligen Sowjetunion wie auch Chinas und Nordkoreas zeigen zwar, das zentralistische Systeme durch eine Konzentration der Kräfte auf eng begrenzten Spezialgebieten in der Lage sind, hohe technologische Leistungen zu vollbringen. In der Breite ist jedoch eine marktwirtschaftliche Steuerung weit überlegen, innovative Lösungen zu entwickeln.

Marktwirtschaftliches Preissystem auch für die Umweltressourcen

Nicht die „Anmaßung von Wissen“ (Friedrich August von Hayek) staatlicher Lenker, sondern die Technologieoffenheit und die „Weisheit der Vielen“ (James Surowiecki: The Wisdom of Crowds, 2004) ermöglicht eine Vielfalt effektiver und effizienter Lösungen. Herrmanns Detailwissen hinsichtlich (derzeit) nicht zielführender Technologien begründet möglicherweise ihren Technologiepessimismus und verstellt den Blick auf den derzeitigen Stand der Technik bzw. des technischen Wissens.

Wesentlich wäre jedoch, daß der Staat seine Aufgabe wahrnimmt, entsprechend technologieoffene Rahmenbedingungen zu schaffen – Verzicht auf diskriminierende Vorgaben und Förderungen; stattdessen ein Preissystem auch für Umweltressourcen, das möglichst weltweit alle Nutzer einbezieht; finanzielle Ausgleiche für Entwicklungsländer eingeschlossen. Das hochgradig ineffiziente und ineffektive deutsche und zum Teil parallele europäische System der CO2-Politik bietet leider kein Vorbild. Dieser Punkt bleibt ebenfalls unbehandelt, wie die durchaus kritisch-weiterführende Fragestellung, inwieweit unser auf Mehrheitsentscheid beruhendes demokratisches System eigentlich für Zukunftsprobleme geeignet ist. Möglicherweise verhindert die „Position der Mitte“ die rechtzeitige Berücksichtigung von eigentlich als sicher geltenden Problemen der Zukunft. Klima, Demographie und Infrastrukturrückstand seien als Beispiele genannt.

Ulrike Herrmann bietet mit dem „Ende des Kapitalismus“ ein anregendes, lesenswertes Buch, das zur Gegenposition animiert. Allerdings deutet ihr 2018 erschienenes Buch mit dem Titel „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“ auf eine überschaubare Halbwertszeit ihrer Wahrheiten hin.






Prof. Dr. Dirk Meyer (65) lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, gebunden, 341 Seiten, 24 Euro