Aufruhr in Brasilia. Am 8. Januar drangen Tausende Anhänger von Ex-Präsident Jair Bolsonaro gewaltsam in den Nationalkongreß, das Plenum des Obersten Gerichtshofs (STF) und den Planalto-Palast ein. Dies war End- und Höhepunkt einer monatelangen Kampagne, bei der die Rechtmäßigkeit des Ergebnisses der Präsidentenwahl vom Oktober angezweifelt wurde. Kurz darauf vertrieb sie die zunächst untätig zusehende Polizei, wobei sie von der Força Nacional verstärkt worden war. Cirka 1.500 Demonstranten wurden verhaftet. Die Verhafteten müssen sich wegen Staatsstreichs und 14 weiterer Verbrechen verantworten.
Flavio Dino, Minister für Justiz und öffentliche Sicherheit, erklärte auf einer Pressekonferenz, daß sich fast alle Anhänger des ehemaligen Präsidenten in dem vor zwei Monaten vor dem Armeehauptquartier in Brasilia errichteten Lager aufgehalten hatten. Dieses und Dutzende andere in ganz Brasilien errichtete Lager seien bereits aufgelöst worden, so Dino.
Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (PT) bezeichnete die Protestler als „Faschisten und Vandalen“, die alles zerstörten, was ihnen im Weg stehe. Alle an den Vandalismusakten Beteiligten sollen exemplarisch bestraft und die „Finanziers der kriminellen Handlungen“ ermittelt werden. „Wir werden versuchen herauszufinden, wer das finanziert hat. Wer hat die Busse und Unterkünfte bezahlt“, sagte Lula. Die Präsidentin des Gerichtshofs, Rosa Weber, veröffentlichte eine Mitteilung, in der sie versicherte, daß der STF handeln werde, „damit die Terroristen, die an diesen Taten beteiligt waren, ordnungsgemäß verurteilt“ werden.
Bolsonaro seinerseits meldete sich aus dem Krankenhaus in Orlando (Florida) via Twitter zu Wort, indem er sich gegen Vorwürfe „ohne jeden Beweis“ verwahrte, er sei für die Ereignisse verantwortlich gewesen. Kategorisch verurteilte er Gewalttaten von allen Seiten: „Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Invasionen öffentlicher Gebäude, wie sie heute geschehen, sowie die von der Linken in den Jahren 2013 und 2017 praktizierten, entziehen sich jedoch der Regel.“
Inwieweit die Vorgänge manipuliert worden waren, ist schwer zu beurteilen. Unübersehbar ist dabei, daß ein solch isolierter Akt unmöglich die Machtverhältnisse im Land zum Kippen bringen konnte, noch dazu an einem Sonntag, wenn in den fraglichen Gebäuden kein Politiker oder Oberster Richter anwesend ist. Aldo Rebelo (PT), vormals Verteidigungsminister unter Dilma Rousseff, sieht das ähnlich. In einem Interview für CNN-Brasil meinte er mit Blick auf mögliche Hintermänner in den USA: „Zumindest in den USA gibt es Menschen, die an diesen Demonstrationen teilnehmen, sie anregen, orchestrieren und leiten.“ Ziel sei es dabei, „das Land zu destabilisieren, zu spalten und Brasilien in einer komplizierten Situation zu schwächen“.
So suspendierte der Oberste Richter Alexandre Moraes den kürzlich wiedergewählten Gouverneur des Bundesdistrikts Brasilia, Ibaneis Rocha, für 90 Tage seines Amtes, weil dieser absichtlich nichts gegen die gewaltsame Stürmung der Regierungsgebäude unternommen habe.
In einer Erklärung setzten sich wichtige lokale Unternehmen und Gewerkschaften aus Handel, Industrie und Landwirtschaft aus Brasilia für die politische Autonomie der Bundeshauptstadt ein und forderten die sofortige Rehabilitierung Rochas. „Zum jetzigen Zeitpunkt lehnen wir jede Art von Einmischung ab, die die politische und administrative Autonomie des Bundesdistrikts angreift und keine ordnungsgemäße Feststellung des Sachverhalts beinhaltet“, so die Initiatoren.
Rocha bestreitet die Vorwürfe und teilte via Twitter mit, daß er den Sicherheitsminister des Bundesdistrikts, Anderson Torres, der sich wie Bolsonaro im Urlaub in den Vereinigten Staaten aufhält, entlassen habe.