Das Zünglein an der Waage der Wahl Joe Bidens zum Nachfolger von Donald Trump als US-Präsidenten war vielleicht die Entscheidung Twitters, die geleakten Dokumente von Hunter Bidens Laptop im Oktober 2020 zu zensieren. Als „gehacktes Material“ verwehrten die Twitter-Manager um Ex-Zensurchef Yoel Roth und Ex-Justitiarin Vijaya Gadde, den Enthüllungen der altehrwürdigen New York Post über Hunters Millionengeschäft in der Ukraine den Zugang zu einer breiten Öffentlichkeit. Dies offenbarte der unabhängige Journalist Matt Taibbi am 2. Dezember 2022 in einem ersten von bisher 13 Berichten, die auf Auswertungen interner Twitter-Akten beruhen. Der neue Besitzer des Mediums, Elon Musk, hatte die Daten den Journalisten zukommen lassen. Sie zeigen auch in anderen heiklen Fällen massive Einflußnahmen durch Behörden und Geheimdienste.
„Alle wußten, daß das falsch war“, schrieb ein Mitarbeiter in einer E-Mail über den Stopp der Hunter-Biden-Geschichte. „Sie haben es einfach improvisiert.“ „Der angebliche Hack war die Ausrede, aber innerhalb weniger Stunden war allen klar, daß das nicht stichhaltig war.“
„Es ist offensichtlich, daß es weitreichende Zensur gegeben hat, darunter Dinge, die den Ausgang von Wahlen beeinflußt haben“, sagte Elon Musk dazu im Gespräch mit dem deutschen Internet-Unternehmer Kim „Dotcom“ Schmitz.
Ergänzt hat diese Enthüllung kurze Zeit später die Ex-New York Times-Redakteurin Bari Weiss. Bei Nachforschungen über die langsame Herausgabe der Dokumente erkannte sie in dem Twitter-Justitiar James Baker den ehemaligen obersten FBI-Anwalt. Baker, der die Rechtfertigung lieferte, die New York Post-Enthüllungen zu Hunters dubiosen Beraterverträgen zu vertuschen, war beteiligt an FBI-Kampagnen gegen Donald Trump. Just im Juni 2020 – mitten im Wahlkampf – hatte er zu Twitter gewechselt. „Mir ist die Kinnlade heruntergefallen“, erklärte Weiss, als sie Bakers Geschichte recherchierte. Musk kündigte Baker am 6. Dezember 2022 fristlos.
Auch das wäre Stoff für eine breite Berichterstattung gewesen. „Die Medien versuchen die Geschichte kleinzuhalten, weil sie die amerikanische Öffentlichkeit belogen haben“, urteilt Musk. „Und bevor sie das zugeben, tun sie einfach so, als wäre nichts passiert. Es ist eine Schande.“ Der Tech-Milliardär ergänzt: „Twitter hat sich wie ein Arm der Demokratischen Partei verhalten.“
Am 8. Dezember 2022 enthüllte abermals Bari Weiss, daß die Twitter-Zensurbeauftragten unbequeme Kritiker auf verschiedene Schwarze Listen gesetzt hatten. Das Unternehmen verfügt so über ein umfangreiches Instrumentarium zur Kontrolle der Sichtbarkeit und der Reichweite eines jeden Nutzers, einschließlich einer „Search Blacklist“, einer „Trends Blacklist“ und einer „Do Not Amplify“-Einstellung. Weiss zitiert einen Twitter-Mitarbeiter: „Es ist ein sehr mächtiges Werkzeug.“
Die Twitter-Zensur stellt den US-Präsidenten neben Hitler
Gelistet waren unter anderem der renommierte Professor der Stanford-Universität und Corona-Lockdown-Kritiker Jay Bhattacharya sowie sein Kollege Martin Kulldorff von der Harvard-Universität. Die schärfste Form einer Blacklist lernte der Journalist Dan Bongino kennen. Sein Konto war dank einer „Search Blacklist“ für andere auch bei einer gezielten Suche nicht auffindbar.
Die Autoren, zu denen sich namhafte Reporter und Journalisten wie Michael Shellenberger, Lee Fang, David Zweig und Alex Berenson gesellten, veröffentlichten Berichte über die Enthüllungen zur Sperre des Ex-US-Präsidenten Donald Trump nach dem „Sturm aufs Kapitol“ vom 6. Januar 2021. Danach wußten die Twitter-Manager, daß Präsident Trump nicht gegen die Twitter-Regeln verstoßen hatte. Die Sperre des Regierungschefs zwei Tage später erfolgte „aus dem Gesamtzusammenhang und aktueller Stimmung“. Dabei ging es um „das Narrativ, das Trump und seine Freunde im Wahlkampf, ehrlich gesagt, die letzten 4+ Jahre verfolgt haben“, zitiert Taibbi den Ex-Chefzensor Yoel Roth aus den internen Dokumenten. Offenbar gefiel Trumps Art, die Politik zu gestalten, den Twitter-Zensurchefs nicht.
Die Abteilung für Vertrauen und Sicherheit stellte den damaligen Präsidenten als „Anführer einer terroristischen Vereinigung, der für Gewalttaten verantwortlich ist, vergleichbar mit dem Attentäter von Christchurch oder Hitler“ hin. Auf dieser Basis und „der Gesamtheit seiner Tweets“ sollte der Account mit 88,9 Millionen Followern gelöscht werden. Laut internen Mails gab es allerdings keine Belege für „Anstiftungen zur Gewalt“. Die Entscheidung basiere lediglich darauf, „wie Trumps Tweets aufgenommen und gedeutet werden“.
Mindestens ein Twitter-Mitarbeiter machte sich Sorgen über ein „Dammbruchargument“. Wenn „ein Online-Plattform-CEO mit globaler Präsenz ... die Rede für die ganze Welt kontrollieren kann“, ist das sehr viel potentielle Macht. Doch leitende Angestellte wie die Anwältin Vijaya Gadde und Chefzensor Yoel Roth überstimmten die Gegner der Löschung. Ihnen zufolge wären Twitter-Mitarbeiter, die behaupteten, Trump habe „keinen Verstoß“ begangen, so wie „Nazis, die Befehle befolgen“.
Nach Wochen der Twitter-Enthüllungen wehrte sich das FBI am 21. Dezember 2022: „Verschwörungstheoretiker“ würden die US-Öffentlichkeit „mit Falschinformationen füttern, mit dem alleinigen Ziel, die Behörde zu diskreditieren“. Zuvor hatte die Autorengruppe zwei weitere Teile der Twitter-Akten veröffentlicht, dem zufolge der Kontakt zwischen den Behörden und dem Betreiber des Meinungsmarktplatzes „konstant und allgegenwärtig“ war. Die US-Bundespolizei war allerdings nicht die einzige Behörde, die Twitter mit massenhaften Zensuraufforderungen überhäufte. Twitter erhielt Excel-Tabellen mit Tausenden Sperranfragen von allen möglichen Behörden. Darunter das Pentagon, das Finanzministerium, das Außenministerium, die Heimatschutzbehörde, die NSA, die Gesundheitsbehörde und fast alle Bundesstaaten. Wie sich zeigte, konnte auch ein Pfizer-Vorstand auf die Kanäle zugreifen und einen Tweet stoppen, der die Immunität nach einer Corona-Infektion faktenbasiert als besser darstellte als eine Immunität nach der Impfung.
Zur Koordinierung trafen sich Twitter-Manager regelmäßig in San Francisco mit FBI-Agent Elvis Chan, der am 29. Juni 2020 angekündigt hatte, zum nächsten Treffen „Vertreter anderer Behörden“ mitzubringen. „Other Government Agencies“ (OGA) gilt als Synonym für den Auslandsgeheimdienst CIA. Es war ein „offenes Geheimnis“, schrieb Taibbi, daß mindestens ein hoher Twitter-Mitarbeiter der CIA angehörte. Diese darf im Inland allerdings nicht einfach so tätig sein. Deshalb mußten jedem Meeting ein paar Auslandsthemen beigefügt werden. Posts, die etwa den Ukraine-Krieg behandelten, möglichen Wahlbetrug anprangerten oder Joe Bidens Geschäfte in der Ukraine betrafen, galten per se als potentielle russische Desinformation.
Es existieren ständige direkte Kanäle zu CIA, FBI oder NSA
Diese Konferenzen, an denen auch Facebook, Microsoft, Verizon, Reddit und sogar Pinterest, oder Yahoo!, Twitch, Clouldfare, LinkedIn sowie Wikipedia teilnahmen, wurden oft von linken „zivilgesellschaftlichen“ NGOs und Thinktanks wie dem Aspen Institute, der Sunlight Foundation und der Carnegie Endowment organisiert. Der Arbeitsaufwand wurde für Twitter so groß, daß das FBI schließlich über 3,4 Millionen US-Dollar Aufwandsentschädigung zahlte. „Bei dem Aufwand waren sie eher unterbezahlt“, witzelt Taibbi.
Der Journalist Lee Fang bezeichnete die Zusammenarbeit von Twitter mit dem US-Militär, um die Debatte im und über den Nahen Osten mit Fake-Konten zu beeinflussen, als „PsyOp“ (Psychologische Kriegsführung). Die Verbreitung der Tweet von 52 arabischsprachigen Konten hatte das Unternehmen gefördert.
Anfragen kamen auch von der Trump-Regierung, die aber längst nicht so viel Gehör bei den linken Twitter-Mitarbeitern fand, welche laut Spendenbelegen zu 99 Prozent demokratische Kandidaten unterstützten. Als das Büro des Trump-Außenministers Mike Pompeo ebenfalls begann, Anfragen bei Twitter zu stellen, reagierten die Mitarbeiter des Sozialen Netzwerks irritiert, hatten dann aber plötzlich sehr viele Bedenken und beschlossen, alle Behördenanfragen über das Trump-feindliche FBI zu kanalisieren. Alles in allem zeigen die Twitter-Akten, welches große Pfund die Sozialen Netzwerke bei der Meinungsbildung in der Gesellschaft haben.
Wer veröffentlichte die Akten?
Twitter-Chef Elon Musk wählte die Journalisten, die Zugang zum internen Material erhielten, selbst aus. Die Vereinbarung: Zunächst sollten die Erkenntnisse auf Twitter veröffentlicht werden, dann könnten die Reporter sie auf ihren eigenen Blogs ausführlich schildern.
Matt Taibbi (52) Lange Jahre politischer Kolumnist beim „Rolling Stone“, seit 2020 bloggt er bei Substack.
Bari Weiss (38) Verließ vor zwei Jahren im Streit die „New York Times“ und führt seitdem ihren eigenen Substack-Blog.
Michael Shellenberger (51) Autor und Mitgründer des Instituts „Environmental Progress“, das sich für eine rationale Umweltpolitik einsetzt.
Lee Fang (36) Investigativer Reporter bei der Enthüllungsplattform „The Intercept“.
David Zweig (?) Freier Journalist, der u.a. für „The Atlantic“, die „New York Times“ und das „New York Magazine“ schrieb.
Alex Berenson (50) Schriftsteller und ehemaliger Reporter der „New York Times“.
Die Twitter-Akten
Hunter Bidens Laptop
Matt Taibbi / 2. Dezember 2022
Das interne Drama bei Twitter um die Entscheidung, den Zugang zu einem Text der New York Post über Hunter Biden im Oktober 2020 zu blockieren.
Der Abgang des Jim Baker
Matt Taibbi / 6. Dezember 2022
Veröffentlichungen der Twitter-Akten wurden verzögert, weil der stellvertretende Twitter-Anwalt Jim Baker die Dokumente überprüfte. Er war bis 2020 beim FBI.
Twitters geheime Blacklists
Bari Weiss / 8. Dezember 2022
„Hat Twitter Leute unsichtbar gemacht?“ Das hatte es bisher nicht zugegeben. Verscheidene Abstufungen sind nun belegt.
Die Entfernung von Donald Trump I.
Matt Taibbi / 9. Dezember 2022
Der erste Teil einer Serie, die sich damit beschäftigt, wie der Vorstand entschied, den US-Präsidenten zu sperren.
Die Entfernung von Donald Trump II.
Michael Shellenberger / 10. Dezember 2022
Wie Twitter seine Regeln umgestaltete, um ein Trump-Verbot zu ermöglichen.
Die Entfernung von Donald Trump III.
Bari Weiss / 12. Dezember 2022
So wütend viele Twitter-Mitarbeiter nach den Unruhen im Kapitol am 6. Januar 2021 auf Trump waren, so schwer taten sie sich mit der Sperrung seines Kontos. Twitter fand dennoch einen Weg.
Twitter, die FBI-Tochtergesellschaft
Matt Taibbi / 16. Dezember 2022
Der Kontakt zwischen Twitter und dem FBI war „konstant und allgegenwärtig“.
Das FBI und der Laptop Hunter Bidens
Michael Shellenberger / 19. Dezember 2022
Diese Geschichte konzentriert sich auf die Beziehung des Unternehmens zu Behörden, Geheimdiensten und NGOs.
Wie Twitter verdeckt die Kriegsführung des Pentagons unterstützte
Lee Fang / 20. Dezember 2022
Wie hat Twitter jahrelang verdeckte Operationen des US-Militärs gebilligt und unterstützt? Obwohl das Unternehmen vor dem Kongreß, erklärte es nicht zu tun, unterstützte es den Staat mit Fake-Konten.
Twitter und „andere Behörden“
Matt Taibbi / 24. Dezember 2022
Der Thread zeigt, wie die Kommunikationskanäle zwischen der Bundesregierung und Twitter arbeiteten, und enthüllt
Kontakte mit der CIA.
Wie Twitter die Corona-Debatte manipulierte
David Zweig / 26. Dezember 2022
Wie hat Twitter Informationen über Covid unterdrückt, die zwar der Wahrheit entsprachen, aber für US-Behörden unbequem waren?
Wie Twitter die Geheimdienste hereinließ
Matt Taibbi / 3. Januar 2023
Twitter gab dem Druck des Kongresses und der Medien nach, „Material“ vorzulegen, das eine Verschwörung russischer Konten auf seiner Plattform belegt.
Twitter und der Bauchnabel des FBI
Matt Taibbi / 3. Januar 2023
Twitter nahm Anfragen von diversen staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen entgegen und erhielt auch persönliche Anfragen von Politikern, die etwa die Sperrung von Journalisten verlangten.
Wie Twitter die Debatte um Corona-Impfungen formte
Alex Berenson / 9. Januar 2023
Scott Gottlieb, ein Vorstandsmitglied von Pfizer, benutzte denselben Twitter-Kontakt wie das Weiße Haus, um Covid-Impfstoffe entgegen anderslautenden Fakten nicht schlechter destehen zu lassen als die natürliche Immunität.
taibbi.substack.com/p/capsule-summaries-of-all-twitter