© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/23 / 13. Januar 2023

Bombenfest im Sattel
Christine Lambrecht: Die Verteidigungsministerin ist Deutschlands unbeliebteste Politikerin. Doch obwohl sie fachlich als totale Fehlbesetzung gilt und kein Fettnäpfchen ausläßt, dürfte ihr Verbleib im Amt gesichert sein. Warum? Genau deswegen
Peter Möller

Die Zahlen sehen nicht gut aus für Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). Laut einer Insa-Umfrage sind 64 Prozent der befragten Deutschen dafür, daß die Ministerin zurücktritt. In der Rangfolge der beliebtesten Politiker ist Lambrecht auf den 20. und damit letzten Platz abgestürzt. Unter normalen Umständen müßten jetzt im Kanzleramt alle Alarmglocken läuten und die Suche nach einem Nachfolger beginnen, denn angesichts dieser desaströsen Zahlen droht Lambrecht für die gesamte Koalition zur Belastung zu werden. 

Doch die Zeiten sind nicht normal, und der jetzt dokumentierte Absturz der Verteidigungsministerin kommt nicht überraschend und wurde nicht erst durch das bizarre und unprofessionelle Video ausgelöst, das die Ministerin an Silvester auf offener Straße in Berlin aufgenommen hat, sondern hat quasi mit ihrem Amtsantritt begonnen. Die Liste ihrer Patzer und Verfehlungen ist mittlerweile auf eine stattliche Länge angewachsen und läßt die Zweifel wachsen, ob Lambrecht für das Amt der Verteidigungsministerin überhaupt geeignet ist.

Schon unmittelbar nach der Übernahme der Befehls- und Kommandogewalt durch Lambrecht im Dezember 2021 wurde im Bendlerblock mit Verwunderung registriert, daß sich die neue Ministerin kaum für die von den Fachabteilungen vorbereiteten Dossiers zur Einarbeitung in das für die Juristin Lambrecht völlig neue Aufgabenfeld der Führung einer Armee interessierte, sondern stattdessen zunächst einmal Personalpolitik betrieb. Schon in ihrer Zeit als Justizministerin war Lambrecht für ihre als rücksichtslos bezeichnete Personalpolitik aufgefallen; in ihrem neuen Amt setzte sie diese Linie nun fort und besetzte wichtige Positionen sofort mit ihren Gefolgsleuten.

Erste Zweifel, ob Lambrecht überhaupt willens und in der Lage ist, das Verteidigungsministerium zu führen, ließ sie kurz nach Amtsantritt durch ein Interview mit der Bild-Zeitung aufkommen. Auf die naheliegende Frage, ob sie einen Oberleutnant von einem Oberstleutnant unterscheiden könne, reagierte sie ausweichend und witzelte, daß als Anrede Herr oder Frau plus Nachname doch reiche. Nicht nur in der Bundeswehr stieß diese zur Schau gestellte Gleichgültigkeit gegenüber den Besonderheiten der Streitkräfte auf Unverständnis.

Ein weiteres PR-Desaster lieferte Lambrecht unmittelbar vor dem Angriff Rußlands auf die Ukraine, als sie die Lieferung von 5.000 Helmen an Kiew ankündigte – zu einem Zeitpunkt, zu dem andere westliche Staaten bereits dazu übergegangen waren, im großen Stil Panzerabwehrwaffen und ähnliche Ausrüstung zu liefern. Nicht nur im Ausland stieß ihre Aussage, die Lieferung sei „ein deutliches Signal“ auf Kopfschütteln. Auch ihr Auftritt in Stöckelschuhen bei einem Truppenbesuch in Mali paßt in dieses Bild: Lambrecht scheint sich nicht die geringste Mühe zu geben, zumindest den Anschein zu erwecken, sie identifiziere sich mit ihrer Aufgabe.

Im Mai sorgte dann ein auf Instagram veröffentlichtes Foto ihres Sohnes in einem Hubschrauber der Bundeswehr für Aufsehen, das – wie später nach einem Gerichtsverfahren ans Licht kam – von Lambrecht persönlich auf dem gemeinsamen Flug in der Regierungsmaschine in den Osterurlaub aufgenommen worden war. Auch wenn die Ministerin darauf beharrte, daß bei der Mitnahme des Sohnes Recht und Gesetz eingehalten worden sei, war das Außenbild verheerend. Doch auch auf ihrem eigentlichen Aufgabengebiet, der Bundeswehr, hat Lambrecht bislang alles andere als brilliert. Obwohl die Ministerin durch das 100 Milliarden Euro umfassende Sondervermögen für die Streitkräfte über Finanzmittel wie kaum einer ihrer Vorgänger verfügt, kommen von ihr kaum Impulse, wie dieses Geld bestmöglich eingesetzt werden könnte. Wichtige Entscheidungen in diesem Zusammenhang, wie etwa die Beschaffung des amerikanischen Kampfflugzeuges F-35 werden im Kanzleramt vorbereitet und getroffen (JF 52/22-1/23).

Je lauter die Rufe nach Rücktritt, desto unwahrscheinlicher ist er

Auch in der Diskussion über Waffenlieferungen an die Ukraine sorgte Lambrecht mehrfach für Irritationen. Etwa als sie im Bundestag versuchte zu erklären, warum der Flugabwehrpanzer Gepard zwar zu den schweren Waffen gehöre, aber kein Panzer sei, weil er „mit seinem großen Rohr“ in die Luft schieße, was Panzer nicht könnten.

In Berlin kursieren mittlerweile zwei mögliche Erklärungen dafür, warum Bundeskanzler Scholz trotz der verheerenden Bilanz weiter an seiner Verteidigungsministerin festhält. Die eine hängt mit der sehr wahrscheinlichen Kandidatur von Innenministerin Nancy Faeser als SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl in Hessen zusammen. Sollte Faeser in die Landespolitik wechseln und zeitnah Lambrecht das Kabinett verlassen müssen, müßten gleich zwei wichtige SPD-Ministerinnen durch Frauen ersetzt werden, um die von Scholz immer wieder betonte Geschlechterparität bei der Besetzung der SPD-Kabinettsposten nicht zu gefährden. Eine Operation, die in der SPD für viel Unruhe sorgen würde. Als durchaus möglich gilt dagegen, daß Lambrecht bei einem Weggang Faesers an die Spitze des Innenministeriums wechseln könnte.

Die andere Erklärung geht davon aus, daß Scholz eine schwache Amtsinhaberin im Bendlerblock sehr gelegen kommt, da er so ohne großes Gerangel mit der Ressortchefin wichtige verteidigungs- und sicherheitspolitische Entscheidungen direkt im Kanzleramt treffen kann.

Daß im Hintergrund die Wehrbeauftragte Eva Högl – auch sie eine Sozialdemokratin – mit auffallend freundlicher Unterstützung aus den Reihen von Verteidigungspolitikern der Union regelmäßig durchblicken läßt, die bessere Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt zu sein, nützt ihrem Ansinnen nichts. Manche Genossen bringen SPD-Chef Lars Klingbeil ins Spiel. In seinem Wahlkreis liegt der große Bundeswehrstandort Munster, und obwohl er den Wehrdienst verweigert hat, stehe der Sohn eines Berufssoldaten der Truppe näher. Was gegen seine Amtsübernahme spricht: Er würde als Parteivorsitzender zugleich Untergebener des Kanzlers sein – vergleichbar der glücklosen seinerzeitigen CDU-Vorsitzenden und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer unter Angela Merkel.

In Kreisen der Bundespolitik wird zudem darauf verwiesen, daß Scholz sich nicht gerne von der öffentlichen Meinung zu Entscheidungen drängen lasse. Im Fall von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bedeutet das: Je lauter die Rufe nach einem Rücktritt oder einer Entlassung werden, desto unwahrscheinlicher ist es, daß Scholz seine Ministerin fallenläßt. Die schlechten persönlichen Umfragewerte sind für Lambrecht daher eher eine Jobgarantie. 





Erst schenken, dann denken

Nach monatelangem Zögern schickt Berlin nun doch Schützenpanzer vom Typ Marder in die Ukraine. Die versprochenen Geräte sollen zum Teil vom Hersteller Rheinmetall ausgeliefert werden, zum Teil aus Beständen der Bundeswehr kommen. Das Problem: Die Truppe braucht selber mehr, denn das etwa 50 Jahre alte Hauptwaffensystem der Panzergrenadiere muß beim deutschen Kontingent der Schnellen Nato-Eingreiftruppe (VJTF) als Ersatz für den modernen Nachfolger Puma herhalten, nachdem bei diesem erneut technische Probleme aufgetreten waren (JF 52/22–1/23). Zudem hatte die Bundesregierung im sogenannten „Ringtausch“ Griechenland die Lieferung von 40 Mardern versprochen, damit Athen der Ukraine seine ausrangierten Sowjetpanzer liefern kann. Medienberichten zufolge hat Lambrechts griechischer Amtskollege Nikos Panagioto-poulos nun zugesagt, auf die Hälfte der Kettenfahrzeuge aus Deutschland zunächst zu verzichten. Später sollen derzeit von Rheinmetall aufbereitete Exemplare nachgeliefert werden. Von den 350 Mardern der Bundeswehr sollen 150 einsatzbereit sein. (vo)