Die Bewegung „Fridays for Future“ und die Initiative „Alle Dörfer bleiben“ haben zum „entschlossenen und friedlichen“ Protest in Lützerath aufgerufen. Für kommenden Sonnabend – aber da könnte der Kampf David gegen Goliath im Westen von Nordrhein-Westfalen schon zu Ende sein. Am Ausgang besteht kein Zweifel. Der Kleine mit der Steinschleuder hat, egal zu welchen Tricks er greift, diesmal keine Chance. Der Rechtsstaat wird mit Polizeigewalt die Besetzung des rheinischen Ortes in der Nähe von Düsseldorf durch mehrere hundert selbsternannte Klimaschützer beenden, die Baumhäuser räumen und die Barrikaden zerstören, um dann dem bereits in Sichtweite stehenden gewaltigen Schaufelradbagger grünes Licht zu geben. Offen ist nur, welche Eskalationsstufe in den nächsten Tagen dabei erreicht wird.
„Lebensgrundlagen an einen Konzern verkauft“
Beiden Seiten geht es auch ums Prestige. Der Staat will endlich zeigen, daß in Deutschland Recht und Gesetz noch etwas gelten und von der Polizei auch gegen Widerstand durchgesetzt werden können. Die rechtliche Voraussetzung liefert der Kreis Heinsberg, der am 20. Dezember eine Allgemeinverfügung erlassen hat, nach der seit dem 23. Dezember das Betreten des Weilers Lützerath und der Zufahrtsstraßen sowie der Aufenthalt nicht mehr erlaubt sind und seit vergangenem Dienstag „auch unmittelbarer Zwang zum Auflösen der Besetzung“ angewendet werden kann. Zuletzt hatte das Oberverwaltungsgericht Münster die vom Landrat verfügte Räumung für rechtsmäßig erklärt; der Beschluß ist unanfechtbar.
Die Besetzer ihrerseits wollen ausloten, wie weit das Schlagwort vom „zivilen Ungehorsam“ ausgereizt werden kann, ohne daß die öffentliche Meinung kippt. So erinnerte Fridays-for-Future-Sprecherin Luisa Neubauer am Montag nach einem einstündigen, aus ihrer Sicht ergebnislosen, Gespräch mit Nordrhein-Westfalens Energieministerin und Stellvertretender Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) daran, daß viele Menschen die Umweltschutzpartei gewählt hätten, damit eben nicht „die Lebensgrundlagen an einen Konzern verkauft“ werden. Gemeint ist das Unternehmen RWE, das den Braunkohletagebau Garzweiler II erweitern will.
Vergessen ist, was Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Neubaur dem Energiekonzern in harten Verhandlungen abgetrotzt haben: Daß die Kohleverstromung im Rheinischen Revier 2030 endet, also acht Jahre früher als ursprünglich vereinbart; daß 280 Millionen Tonnen Braunkohle nicht gefördert werden und mit Kuckum, Beverath, Keyenberg, Unter- und Oberwestrich fünf Ortschaften nicht wie vorgesehen abgerissen werden. Doch die sogenannten Aktivisten streben immer die Umsetzung ihrer Maximalforderung an. Politiker feiern wie Habeck jeden Erfolg als „Meilenstein für den Klimaschutz“.
Daß die Grünen in NRW mitregieren, nutzt die Linke, um sich im Westen als „einzig wahre“ Umweltpartei zu präsentieren. Das Abbaggern von Lützerath zur Braunkohlegewinnung sei „Wahnsinn“ und ein „Frontalangriff auf den Klimaschutz“, sagte Parteichefin Janine Wissler und kündigte einen Besuch vor Ort an. Gleichzeitig ermahnte sie den Düsseldorfer Innenminister Herbert Reul (CDU), bei der Räumung durch die Polizei Augenmaß zu wahren. Dieser wiederum forderte die friedlichen Lützerath-Besetzer auf, sich von den militanten abzusetzen.
Die Polizei befürchtet, daß Militante wie bei anderen Gelegenheiten aus dem Schutz der überwiegenden „bürgerlich und friedlich orientierten gemischten Szene“, so die Formulierung von Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach, heraus angreifen werden. Ihm sekundiert der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, der beobachtet, wie bundesweit gewaltbereite Linksextremisten gegen die Räumung mobilisieren. Einen kleinen Vorgeschmack gab es bereits am Wochenende, als Strohballen und Autoreifen brannten und ausgerechnet jene Polizeibeamte, die deeskalierend auf die Besetzer zugehen sollten, von diesen mit Steinen beworfen wurden.
Von dem Gewaltausbruch schockiert zeigte sich Weinspach, der bei einem Informationsgespräch die Deeskalationsstrategie seiner Beamten hervorhob: „Unser erstes Einsatzmittel ist und bleibt das gesprochene Wort.“ Auch Innenminister Reul präsentierte sich als Getriebener: „Es bleibt uns keine Wahl. Wenn wir Zustände wie in anderen Staaten nicht haben wollen – daß Menschen wild auf die Straße gehen, daß Unruhen entstehen , dann müssen Regeln auch eingehalten werden.“ Überhaupt lassen die Ankündigungen von beiden Seiten Böses ahnen. Nordrhein-Westfalen hat mehrere Hundertschaften Polizei aus anderen Bundesländern angefordert, die Klimaschützer, die nicht nur die Abbaggerung der aufgegebenen Ortschaft verhindern, sondern auch einen noch früheren Ausstieg aus der Kohleverstromung durchsetzen wollen, rechnen mit mehreren tausend Teilnehmern.
Auf einer Pressekonferenz der Polizei spricht der Einsatzleiter offen über die zu erwartenden Probleme. Man rechne mit Fallen in den besetzten Gebäuden – zwei großen Bauernhöfen und mehreren Einfamilienhäusern. Riskant sei der Einsatz auch wegen der unmittelbaren Nähe des Tagebaus und der mutwilligen Unterspülung von dessen Kante. Als schwierig betrachtet die Polizei die Räumung von mehr als zwei Dutzend Baumhäusern. Sollte es zu Angriffen auf die Beamten kommen, „müsse die Öffentlichkeit mit Bildern rechnen, bei denen gegen dieses Verhalten vorgegangen“ werde, teilte die Einsatzleitung mit. Das Risiko sei groß, daß die Auseinandersetzungen von Minderheiten beherrscht werden, so der Innenminister.
Einen „herausfordernden Einsatz mit vielen Risiken“ prognostiziert der Polizeipräsident im WDR. Auch werde mit Störfällen und Straftaten im gesamten Rheinischen Revier in den nächsten Tagen gerechnet – aber auch damit, daß die Aktivisten „Waffen in Form von Steinschleudern“ einsetzen. Man hoffe, den Ort „sechs Wochen lang halten können“, sagte eine Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“.
Foto: Protestierer und Polizisten in Lützerath: Einsatzleiter erwartet „herausfordernden Einsatz mit vielen Risiken“