Nach dem Ersten Weltkrieg erhob die neugegründete Republik Litauen Anspruch auf das zu Ostpreußen gehörende Memelland, um in den Besitz eines Tiefwasserhafens an der Ostsee zu gelangen. Allerdings wurde dann im Vertrag von Versailles festgelegt, daß dieser seit dem Vertrag von Melnosee 1422 zum deutschen Ordensgebiet gehörende Landesteil als Mandatsgebiet des Völkerbundes unter französische Verwaltung kommen solle. Doch Litauen ließ nicht locker und drängte weiter auf Überlassung. Daraufhin forderte Großbritannien Litauen auf, im Austausch für das Memelland die polnischen Ansprüche bezüglich Wilna anzuerkennen. Das war indes keine Option für die Regierung in Kaunas, weshalb sie am 20. November 1922 den Entschluß faßte, das fragliche Gebiet zu annektieren. Denn mittlerweile stand fest, daß weder die russischen Bolschewisten noch Deutschland etwas dagegen unternehmen würden. In der Weimarer Republik wurde zudem die Empörung auf die gleichzeitig stattfindende Ruhrbesetzung durch Frankreich und Belgien (Serite 19) gelenkt.
Von 1926 bis 1938 stand das Memelland unter Kriegsrecht
Die Vorbereitung des Einmarsches oblag dem Obersten Komitee für die Rettung Kleinlitauens (SCSLM) sowie dem Chef der paramilitärischen Schützenunion Vincas Krėvė-Mickevičius und dem Abwehroffizier Jonas Polovinskas, der sich nun Budrys nannte, um weniger litauisch zu klingen. Als Vorwand diente die Falschbehauptung, die litauische Bevölkerung im Memelland – etwa dreißig Prozent, die sich aber wegen des evangelischen Glaubens eher als Ostpreußen identifizierten – werde von „Ausländern“ terrorisiert, weswegen das Ganze auch als Aufstand aufgezogen werden sollte.
Tatsächlich jedoch fand am 10. Januar 1923 keine Erhebung der autochthonen Bevölkerung „Kleinlitauens“ statt, sondern ein Einmarsch von 624 regulären litauischen Soldaten und 455 ebenfalls aus der Republik Litauen kommenden Schützen unter dem Kommando von Polovinskas. Um diesen Umstand zu kaschieren, trugen die Invasoren Zivilkleidung und eine grüne Armbinde mit der Aufschrift „MLS“ für „Freiwilliger von Kleinlitauen“. Angeblich wurden die drei litauischen Truppenkontingente dann von 300 Insurgenten aus dem Memelgebiet empfangen und unterstützt. Doch dies war lediglich eine Schutzbehauptung der Regierung in Kaunas, um die Legende von der „Rebellion der geknechteten Kleinlitauer“ zu stützen.
Die Invasion verlief zunächst ohne Gegenwehr der rund 250 Soldaten der französischen Mandatsmacht, bis dann am 15. Januar doch Schußwechsel in der Stadt Memel stattfanden, bei denen es 15 Tote gab. Andererseits vereinbarten Polovinskas und der Völkerbund-Kommissar Gabriel Petisné noch am gleichen Tag einen Waffenstillstand. Dem folgte am 19. Januar der Abzug aller Franzosen, wonach das litauische Parlament am 24. Januar die Eingliederung des Memellandes in die Republik Litauen proklamierte. Drei Wochen später erkannte die Pariser Botschafterkonferenz der Siegermächte des Ersten Weltkrieges die Annexion als Faktum an.
Die Souveränität Litauens über das Teilstück von „Kleinlitauen“ wurde am 8. Mai 1924 im Übereinkommen über das Gebiet von Memel zwischen Litauen und den Staaten der Botschafterkonferenz bestätigt – allerdings um den Preis der Autonomie „Kleinlitauens“. Diesen Autonomiestatus ignorierte die litauische Regierung dann jedoch schon im Dezember 1926, als sie das Memelland unter Kriegsrecht stellte. Nach dessen Aufhebung erbrachten die Landtagswahlen vom Dezember 1938 einen überwältigenden Sieg für die deutsche Liste. Vor diesem Hintergrund erfolgte im März 1939 das Ultimatum der Nationalsozialisten an Litauen sowie die Rückgabe des Memellandes an Deutschland.