© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/23 / 06. Januar 2023

Die staatlich verordnete Kultur der Angst
Politik im Wahn
André Kruschke

Im Juli 2020 machte einer der angesehensten Staatsrechtler der Bundesrepublik, Udo Di Fabio, eindringlich darauf aufmerksam, daß elementare Verfassungswerte, deren Beachtung in einer Demokratie in „normalen“ Zeiten absolut selbstverständlich erscheinen, in einer Pandemie ohne nennenswerten Widerstand faktisch aufgehoben werden können. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht brachte seine besorgniserregende Feststellung wie folgt auf den Punkt: „Wenn ich in Deutschland einen Staatsstreich machen wollte, würde ich eine Corona-Pandemie erfinden.“ 

Trefflicher lassen sich die zahlreichen Maßnahmen der Bundesregierung und der ihr zur Hand gehenden Landesregierungen zur „Bekämpfung“ des Coronavirus in einer Rückschau wohl kaum beschreiben, in der nahezu sämtliche Grundrechte unter teils höchst widersprüchlichen Begründungen für unbestimmte Zeit ausgesetzt werden konnten. Und das, ohne daß sich ein Großteil der Bevölkerung hiergegen zur Wehr gesetzt oder dies auch nur kritisch hinterfragt hätte.

Wie konnte das geschehen? Das wichtigste Mittel hierzu war die massive Erzeugung von Angst. Wohl anschaulichstes Beispiel hierfür ist das im April 2020 vom Bundesinnenministerium veröffentlichte Strategiepapier („Panik-Papier“), in dem gleich zu Beginn der Corona-Pandemie ein drohendes Massensterben verkündet wurde und Kindern die Schuld für den Tod ihrer Eltern oder Großeltern in die Schuhe geschoben werden sollte, „weil sie zum Beispiel vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen“. Dies geschah, wohl wissend, daß dies „das Schrecklichste (ist), was ein Kind je erleben kann“. Ein weiteres Beispiel ist die äußerst ungewöhnliche Fernsehansprache der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel vom März 2020, in der sie bereits unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie vorgab zu wissen, daß die Corona-Krise die „größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“ werden würde.

Mit derart eindringlichen Botschaften, die inhaltlich selten näher begründet werden mußten, weil große Medien sie unhinterfragt ließen, war es möglich, im Grundsatz berechtigte Ängste von Bürgern systematisch in den Wahn umzulenken, umfassend geschützt werden zu wollen – ungeachtet dessen, was ihr gesunder Menschenverstand oder die Verfassung vorschreibt.

Diese während der Corona-Pandemie durch Regierung und führende Medien erzeugte Panik setzte bei den Betroffenen zielgerichtet einen Mechanismus in Gang, der – statt Ängste abzubauen – zu einer immer größer werdenden Verunsicherung führte, die auf seiten der Exekutive planmäßig eine immer größer werdende Macht anhäufte. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich hierbei um eine bloß eingebildete Bedrohung handelte, die sich in einer medial ständig widerholten und als unausweichlich dargestellten Lebensgefahr vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus äußerte oder um einen absurden Rettungswahn, dem nur durch Impfen beizukommen ist. Die durch die Politik bewußt herbeibeschworene Wirkung war stets dieselbe: Die Mehrzahl der Bürger war zu dauerhaften Einschränkungen ihres öffentlichen und privaten Lebens bereit und begrüßte einen immer weiter um sich greifenden Kontroll- und Überwachungsstaat, in dem bereitwillig jedem Persönlichkeitseingriff beigepflichtet wurde, der unter normalen Umständen undenkbar gewesen wäre. 

Ein derart rational kaum erklärbarer Zustand konnte nur eintreten, weil die unter normalen Bedingungen in Demokratien vorausgesetzte Fähigkeit zum Abwarten, Abwägen und Analysieren in der politisch gewollten und medial unterstützen Krisenzeit strukturell ausgesetzt wurde. Und ausschließlich das als „alternativlos“ dargestellte Handeln von sorgfältig ausgewählten Pandemie-Experten zur Abwendung eines in „Worst Case“-Szenarien hochgerechneten Weltuntergangs als relevant dargestellt wurde. Dieser für demokratische Gesellschaften ohnehin schon problematischen Entwicklung kam verstärkend hinzu, daß die derart in die Angst getriebenen Bürger nicht mehr in der Lage zum Widerstand gegen die sie einschränkenden, staatlichen Maßnahmen waren, da der von der Regierung produzierte Angst-Streß in offene Feindseligkeit und Verfolgung Andersdenkender umgelenkt wurde: Neue Sündenböcke wie „Corona-Leugner“ und „Ungeimpfte“ waren schnell erschaffen. Sie wurden durch Aussagen zahlreicher Politiker („Ihr seid raus aus dem gesellschaftlichen Leben“, Tobias Hans, damaliger CDU-Ministerpräsident des Saarlandes) ausgegrenzt und damit nicht nur in die physische, sondern auch in die soziale Isolation getrieben. Die bewußte Diffamierung von Minderheiten wurde dadurch nicht nur aus gesundheitlichen Gründen für richtig, sondern auch für moralisch geboten erklärt, da jedwedes Hinterfragen von Corona-Maßnahmen zu einer die Allgemeinheit gefährdenden Hetze verklärt wurde. Die in einer Demokratie vorausgesetzte, ergebnisoffene Suche nach der für die Gemeinschaft besten Lösung konnte auf diese Weise pauschal als „rechts“ diffamiert werden, deren Initiatoren gesellschaftlich zu ächten sind. Eine solche Projektion von Angst und Wut auf Andersdenkende förderte damit zwar den in psychologischer Hinsicht nachvollziehbaren körperlichen und seelischen Wunsch nach einer Spannungsabfuhr, entlud sich aber mit oftmals verwirrender Begründung am falschen Objekt – was die Politik geschickt für sich zu nutzen wußte. 

Diese so erzeugte „Kultur der Angst“ wird nun nach merklicher Abschwächung der Virusgefahr durch führende Politiker nahtlos auf andere Sachverhalte übertragen. Prominentestes Beispiel hierfür ist die Klimapolitik, in der in vergleichbarer Weise apokalyptische Untergangsszenarien heraufbeschworen werden. In diesem Sinne  wird ausdrücklich dafür geworben, die in der Corona-Krise angewendeten Methoden auf die Bekämpfung des Klimawandels zu überführen. So offenbarte sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits im Jahr 2020 gegenüber Welt unmißverständlich: „Somit benötigen wir Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind“. Statt also die absolute Einmaligkeit der mit den Corona-Maßnahmen verbundenen Freiheitsbeschränkungen zu betonen, werden sie von führenden Regierungsmitgliedern offen als Vorbild zur Lösung weiterer Krisen herangezogen. In diesem Zusammenhang sei auch nochmal an die offen demokratieverachtende Äußerung des Ex-Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker  aus dem Jahr 1999 erinnert: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ 

Ob es um die ausufernde und kaum mehr aufzuhaltende Zentralisierung politischer Macht nach Brüssel mit dem Verlust nationaler Souveränität oder die maßlose Verstärkung von Dirigismus, Kontrolle und Staatseinfluß durch eine zunehmende Regulierung, Bürokratisierung und Überwachung von Wirtschaft und Gesellschaft geht – Folge ist die stets weiter voranschreitende Durchnormierung des gesamten öffentlichen und privaten Lebens, in der die demokratischen Freiheitsrechte immer weiter zurückgedrängt werden.

In einer funktionierenden Demokratie braucht der Bürger jedoch keine als fürsorglich verpackte, staatlich gelenkte Führung durch das eigene Leben. Demokratie lebt vielmehr vom respektvollen und friedlichen Austausch gegenteiliger Argumente mit dem Ziel, die beste Lösung zu finden. Das Durchpeitschen von vermeintlich alternativlosen Maßnahmen zur Verhinderung vorher heraufbeschworener Apokalypsen ist hierbei fehl am Platz. Die freiheitliche demokratische Grundordnung verlangt nach einer Exekutive, die sich ebenso gut durchsetzen wie korrigieren kann und deren Ziel und Wunsch das beständige Streben nach Aufklärung, Vermittlung und Konsens ist. Bürger einer solchen Regierung brauchen weder Führer noch Feindbilder und sind in der Lage, eigenverantwortlich, verantwortungsbewußt und frei von Angst die für sie richtigen Entscheidungen zu treffen. 

Das Verhalten führender Politiker der letzten Jahre zeigt eine unverblümte Entfremdung von den Bürgern durch eine abgehobene und ideologisch verklärte Politik, die zwar von führenden Medien vorbehaltlos unterstützt wird, an der Lebenswirklichkeit der meisten Bürger jedoch völlig vorbeigeht. Selbst wenn angstgetriebene Menschen zu einer oftmals schmerzhaften Selbsterkenntnis nur schwer in der Lage sind, ist es mit Blick auf zukünftige Krisen unvermeidlich, sich obiger Motive und Entwicklungen bewußt zu werden und als Bürger zu einer freiheitlichen und selbstbestimmten Lebenseinstellung zurückzukehren. Staatliches Handeln ist in konstruktiver Weise kritisch zu hinterfragen. Denn wer – um mit Voltaire zu sprechen – in der Lage ist, „dich Absurditäten begehen zu lassen, ist auch in der Lage, dich Ungerechtigkeiten begehen zu lassen“. Insofern sind aufgeklärte Vernunft, die Fokussierung auf die für eine Gemeinschaft bedeutsamen Themen wie Freiheit und Selbstbestimmung sowie ständige Wachsamkeit in bezug auf politisch inszenierte Weltuntergangsszenarien in den heute wahrlich absurden Zeiten das vermutlich wirksamste Mittel, damit sich die von dem Staatsrechtlicher Udo Di Fabio erkannte Gefahr eines Staatsstreiches „von oben“ nicht doch noch realisiert. 






Dr. André Kruschke, Jahrgang 1980, ist Rechtsanwalt und Mitglied der Partei „Die Basis“. Er veröffentlicht regelmäßig zu aktuellen verfassungsrechtlichen Themen, unter anderem in der „Neuen Juristischen Online Zeitschrift“ im Beck Verlag.

Foto: Maskiertes Kind hält sich die Ohren zu: Angst und Panik waren gezielt genutzte Mittel der Politik, um die Bürger in der Pandemie zu führen. Ist das zu rechtfertigen?