© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/23 / 06. Januar 2023

Vom Cop bis zum Superstar
Von wegen fehlende Diversität im Film: Es gibt seit Jahrzehnten schwarze „Role Models“
Gil Barkei

Das vergangene Jahr war ein Höhepunkt der „Diversity“ in Film und Fernsehen – und im neuen Jahr geht es munter weiter. Zahlreiche veröffentlichte Produktionen sind unter dem Eindruck von „Black Lifes Matter“, selbstauferlegten Quoten und gezielt bunten Castings entstanden. Beispiele sind Afro-Amazonen in „The Woman King“ oder erst kürzlich in den Kinos gestartete „People of Colour“-Superhelden in „Black Panther: Wakanda Forever“. Daneben wuselten schwarze Elben, Zwerge und Haarfüßer durch die Tolkien-Verhunzung „Die Ringe der Macht“ auf Amazon sowie nordafrikanische Kathargerinnen durch das Germanien 10 n. Ch. in „Barbaren II“ auf Netflix. Selbst die Macher der Neuverfilmung von Remarques „Im Westen nichts Neues“ stellten noch schnell zum Filmende einige Afrikaner in die französischen Schützengräben. 

Zeitungen und öffentlich-rechtliche Formate überboten sich in den sozialen Netzwerken mit herzzerreißenden Videoclips, wie schwarze Kinder beim Trailer des neuen Arielle-Films dahinschmelzen, weil die neue Darstellerin schwarz ist. Und auch 2023 steht unter farbigen Sternen: mit einer schwarzen „Queen Charlotte“ von Großbritannien auf Netflix oder mit dem weißen alten Kotzbrocken „Otto“ (Tom Hanks), der erst – stereotyper geht’s kaum – durch lebensfreudige Migranten-Nachbarn aufblüht.

Es gehe um Sichtbarkeit von Minderheiten, um bunte heroische „Role Models“, heißt es stets als Rechtfertigung dieses positiven Rassismus, der besonders skurril daherkommt, wenn in der zweiten Staffel von „Bridgerton“ die ethnische Mischung der englischen Oberschicht im 19. Jahrhunderts dieselbe ist wie in einer heutigen Londoner U-Bahn. Doch das alles würde ja bedeuten, daß es früher keine PoC-Stars und -Heldenfiguren auf der Leinwand oder im TV gab. Und das ist schlicht und ergreifend falsch. Fake News!

Kultschauspieler und Oscarpreisträger

Eddie Murphy wurde mit der „Beverly Hills Cop“-Reihe (1984, 1987, 1994) zum Superstar, schaffte in „Die Glückritter“ (1983) den Aufstieg vom Bettler zum Millionär und setzte in der Erfolgskomödie „Der Prinz aus Zamunda“ (1988) einen schwerreichen afrikanischen Prinzen provokant ins abgerockte New York der achtziger Jahre. Sein damaliger ebenfalls afroamerikanischer Nebendarsteller Arsenio Hall moderierte bis 1994 die „Arsenio Hall Show“ und begrüßte unter anderem Ikonen der Black Community wie Muhammad Ali oder Mike Tyson. Ist das Unterdrückung im Filmbusiness?

Gleichzeitig wandelte sich Carl Weathers als Apollo Creed vom Gegner Silvester Stallones in „Rocky“ (1976) zu dessen Gefährten in den Fortsetzungen. In „Rocky III“ (1982) steht zudem Mr. T. im Boxring, ein goldbehangener Berg von einem Mann, der mit der Serie „Das A-Team“ (1983–1987) endgültig Kultstatus erreicht. Muskelbepackte schwarze Männer – einer davon Carl Weathers – kämpfen auch an der Seite von Arnold Schwarzen­egger gegen den außerirdischen „Predator“ (1987). In „Predator 2“ (1990) übernimmt die Hauptrolle mit Danny Glover gleich ein Afroamerikaner. Glover spielt von 1989 bis 1998 an der Seite von Mel Gibson in der Polizeifilmreihe „Lethal Weapon“ – und zwar im Gegensatz zu seinem weißen Partner den vernünftigen, familienorientierten Cop.

Auch hinter der Kamera etablieren sich in den Achtzigern und Neunzigern Schwarze. Regisseur Spike Lee („Malcolm X“, 1992) prägt nicht nur das New Black Cinema, sondern mit seinen Nike-Werbespots mit Basketballer Michael Jordan auch die Popkultur und Streetwear. Ebenfalls im Jahr 1992 feiert Whoopy Goldberg als singende falsche Nonne mit „Sister Act“ einen Mega-Erfolg. Diskriminierung und weiße Deutungshoheit sehen anders aus. Selbst in B-Movies gab es mit dem späteren „Tai Bo“-Fitneßerfinder Billy Blanks feste schwarze Größen, so beispielsweise in „Karate Tiger 5“ (1990). Und mit Ice Cube gelang einem zuvor umstrittenen Gangsterrapper der Wechsel ins Filmbusiness, das mit Gang-Streifen wie „Boyz’n the Hood“ (1991) oder „Menace II Society“ (1993) soziale und gesellschaftspolitische Themen aus den urbanen Brennpunkten für sich entdeckte.

Diese präsenten, keineswegs auf Negativ-Rollen festgelegten Stars beerbte wenig später Wesley Snipes, der nach Komödien und Actionfilmen wie „Passagier 57“ (1992) oder „Demolition Man“ (1993) mit der „Blade“-Trilogie (1998–2004) mehrere Hits feierte und mit dem düsteren Vampirjäger einen neuen Typus Superheld kreierte. Parallel entwickelten sich Morgan Freeman („Robin Hood“, 1991), Samuel Jackson („Pulp Fiction“, 1994) und Laurence Fishburne („Matrix“, 1999) zu Dauerbrennern auf der Leinwand. Denzel Washington gewinnt zwei Oscars für das Bürgerkriegsdrama „Glory“ (1989) und den Cop-Thriller „Training Day“ (2001), Cuba Gooding Jr. einen für „Jerry Maguire“ (1996), Jamie Fox einen für „Ray“ (2004) und Forest Whitaker einen für „Der letzte König von Schottland“ (2007).

Im Fernsehen bekamen junge Schwarze ebenso wie sie aussehende coole Charaktere und Vorbilder geboten. Die „Bill Cosby Show“ (1984–1992) zeigt eine normale Wohlstandsfamilie, in der Vater und Mutter Arzt beziehungsweise Anwältin sind. In der Sitcom „Alle unter einem Dach“ (1989–1998) arbeitet das Familienoberhaupt als Streifenpolizist und in „What’s Up, Dad?“ (2001–2005) ist besagter Dad mittelständischer Unternehmer. Die Serie „Der Prince von Bel-Air“ (1990–1996) macht eine schwarze Sippe zu einer eigentlich stereotypisch „weiß gelesenen“ Familie samt Butler in der Bonzengegend, und Hauptdarsteller Will Smith zum Superstar. Dieser etabliert 1995 zusammen mit Martin Lawrence in „Bad Boys“ den schwarzen Straßenslang im Polizeifilm – auf seiten der guten, taffen Cops wohlgemerkt. Mit den Fortsetzungen und Blockbustern wie „Men in Black“ (1997) entwickelt sich Smith zum zwischenzeitlich bestbezahlten Schauspieler der Welt.

Und auch bevor Disney seine Meerjungfrau unbedingt mit einer Dunkelhäutigen besetzen mußte, strotzen die früheren Zeichentrickfilme letztlich nur so vor Minderheiten. Mogli in „Das Dschungelbuch“ (1967) ist eine PoC, „Aladdin“ (1993) ein Araber, „Pocahontas“ (1995) eine Indianerin, „Der Glöckner von Notre-Dame“ (1996) ein Entstellter mit Behinderung und seine Muse eine wunderschöne selbstbewußte Zigeunerin. „Mulan“ (1998) ist nicht nur Chinesin, sondern verkleidet sich auch noch als Mann. Orientierungs- und Identifikationspunkte genug für Kinder und Heranwachsende aus allen möglichen Ländern und Kulturen, möchte man insgesamt meinen.

Minderheiten als Hauptfiguren im Zeichentrickfilm

Es gab also schon lange vor woken Netflix- und Marvel-Produzenten genügend „Role Models“ mit dunkler Hautfarbe oder unterschiedlicher Herkunft – nicht nur für die afrikanischstämmige Gemeinschaft. Ben Stiller („Zoolander“, 2001) und Adam Sandler stehen zu ihren jüdischen Wurzeln, und Sandler erschuf mit „Leg dich nicht mit Zohan an“ (2008) sogar einen – wenn auch sehr komödienhaften – israelischen Actionhelden. 

Mit dem Cherokee Wes Studi schaffte es ein „American Native“ in Hollywood, der nicht nur auf Indianerrollen wie in „Der letzte Mohikaner“ (1992) festgelegt war, sondern im Thriller-Klassiker „Heat“ (1995) einen Polizisten spielt. Jennifer Lopez erneuerte mit „Selena“ (1997) und „Out of Sight“ (1998) das Bild der Latina, Salma Hayek das der Mexikanerin („Desperado“, 1995) und Lucy Liu das der Asiatin („Drei Engel für Charlie“, 2000). Die mexikanischstämmige US-Schauspielerin Jessica Alba wurde 2007 von der Zeitschrift FHM zur „Sexiest Woman in the World“ gekürt. Und in „Der 13. Krieger“ (1999) wird ein Araber an der Seite von Wikingern zum äußert kultiviert gezeichneten Helden; einziger Wermutstropfen: mit Antonio Banderas spielt ihn ausgerechnet ein Spanier, ein Europäer, ein Weißer. Ob das heute noch möglich wäre?