Egal ob Schein oder Münze. Geld ist schmutzig. Geld ist widerwärtig. Geld ist keimverseucht. Händewaschen und Desinfektion bieten kaum Schutz.“ Spätestens in der fiktiven Szene, in der Stefan Raab, eigens gebucht zu PR-Zwecken vom polit-ökonomischen Komplex, auf dem Leipziger Marktplatz loslegt, um die Bevölkerung auf Anti-Bargeld-Kurs zu bringen, ist klar, wo die Reise hingeht. Herbert Genzmer (Fragebogen JF 34/22) hat ein Buch geschrieben, dem das zugrunde liegt, was heutzutage gern mit dem Stigma „Verschwörungsnarrativ“ versehen wird. Selbstgefällig agierende Führungseliten erfinden seit eh und je Wörter, die ihre Untertanen von zu viel eigenständigem Nachdenken abschrecken sollen. Denn aus der Skepsis erwächst die Revolte.
Der Roman „Liquid“ paßt als Plädoyer für die Freiheit, als Warnung vor übergriffigen Datenkraken, Gesundheitsfaschismus und postdemokratischen staatlichen Strukturen bestens in die Zeit und kann zweifelsohne gesellschaftliche Relevanz beanspruchen. Eingebettet ist die von dem promovierten Philologen erdichtete globale Verschwörung zur Geldabschaffung, die im Jahre 2029 spielt, in das persönliche Drama der weiblichen Hauptfigur Madeleine Alberti. Die Biochemikerin hat ein lukratives Engagement bei dem multinationalen Amazon-Nachfolger Celestia Limited im US-Staat New Mexico. Dort kommt sie perfiden Machenschaften auf die Spur: Vielen der einfachen Arbeiter, wie etwa ihrem Vorarbeiter Paco, wurde ein Chip implantiert. Als sich deswegen Pacos Hand entzündet, findet Madeleine heraus, wie respektlos ihre Firma mit Menschenrechten umgeht. Schließlich wird ihr klar, daß ihre Forschungen zur Aufnahme von Botenstoffen durch bestehende Organismen der Entwicklung eines optimierten Chips dienten, der jeden Menschen zu einem wandelnden Klugofon macht. Sie setzt sich heimlich – hier soll Spannung entstehen – mit dem Pro-Bargeld-Aktivisten und Initiator der NGO Gedruckte Freiheit Richard Weigelt in Verbindung, der in der EZB-Stadt Frankfurt eine Konferenz zu dem Thema vorbereitet.
Spannungsarme Situationen, lahme Dialoge
Paco stellt einen wenig glaubhaften Kontakt zu dem Drogenboß Don Gustavo her (nette Anspielung auf die TV-Serie „Breaking Bad“). Der Schwerverbrecher, in Sorge gebracht um sein Bargeldvermögen, sorgt dafür, daß sie unerkannt nach Europa fliehen kann. Auf vielen Umwegen und unter falschem Namen landet die begabte Wissenschaftlerin schließlich in Frankfurt, das gerade Ahrtal-mäßig in einer Jahrhundertflut versinkt. Aus sicherer Deckung wird sie Zeugin, wie die Teilnehmer der Konferenz von Gedruckte Freiheit – offiziell zur Rettung aus dem Flutgebiet – auf einen Rheindampfer evakuiert werden. Hier droht allen die Impfung mit dem Chip.
Madeleine fährt auf einem Gummiboot hinterher, dockt an das improvisierte Impfzentrum an und schafft es, Weigelt und dessen engsten Vertrauten Collin in letzter Sekunde auf ihr Boot zu locken. Gemeinsam fliehen sie durch die überflutete Main-Metropole. Ihnen fällt jedoch nichts Besseres ein, als ausgerechnet an einem der Orte Zuflucht zu suchen, wo sie potentielle Verfolger sofort aufspüren können.
Die lichtdurchflutete Trockenheit des Grenzgebiets zu Mexiko, durch das Alberti zu Beginn flieht, fängt der Autor sehr lebendig ein. Dasselbe gilt für die Flutkatastrophe, die der 70jährige in der zweiten Hälfte seines Romans über Frankfurt hereinbrechen läßt. Die atmosphärisch dichte Schilderung der versinkenden Finanz- und bei Genzmer nun auch Impfmetropole ist das Filetstück des Romans. Die nur noch per Boot befahrbare Großstadt erinnert an das New York in Pierre Christins „Die Stadt der tosenden Wasser“ aus der Science-fiction-Serie „Valerian“.
Das englische Wort „thrill“ bedeutet übersetzt „packen“ oder „aufwühlen“. Legt man diese Übersetzung der für das Buch gewählten Genrebezeichnung zugrunde, trifft sie zu. Denn man beginnt sich bei der Lektüre durchaus etwas unwohl zu fühlen beim Gedanken daran, daß Genzmer hier ja keine reine Utopie zu Papier gebracht hat, sondern nur Dinge weiterspinnt, die in ihren Ansätzen – er rekurriert auf Kenneth Rogoff und Jean-Claude Juncker – längst da sind.
Was man jedoch gemeinhin mit einem „Thriller“ verbindet, das findet man in „Liquid“ eher nicht: Helden, die die Handlung ständig unter Hochspannung setzt, und eine ausgetüftelte Handlung, bei der jeder Strang eine Dynamik entfaltet, die den Leser atemlos von Seite zu Seite eilen läßt. Prägnant auf den Punkt gebrachte Szenen sind Genzmers Stärke erkennbar nicht. Seine Dialoge lahmen. Und er hält sich generell viel zu lange in banalen, spannungsarmen Situationen auf. Ein Beispiel: Während Frankfurt in den Fluten einer Jahrhundertkatastrophe versinkt und die Schergen einer in faschistoide Strukturen abdriftenden Bundesrepublik Jagd auf Impfskeptiker und Regimekritiker machen – welcher Leser möchte inmitten eines solchen Bedrohungsszenarios en détail verhandelt wissen, was die drei Flüchtigen, also Alberti, Weigelt und Collin, sich zum Frühstück auf den Tisch stellen?
Jede Menge Interpunktions- und Rechtschreibfehler
Trotz guter Grundideen: Was der Linguist und Übersetzer sich für „Liquid“ ausgedacht hat, ist insgesamt zu dürftig für die über 400 Seiten, die er vermöge einer endlosen Flut von Redundanzen und künstlich in die Länge gezogenen Dialogen mit Text gefüllt hat. Erst nach hundert Seiten ereignet sich eine strafrechtsrelevante Gewalttat, die allerdings eher unmotiviert in die Handlung eingesetzt wurde, als hätte der Autor selbst das Gefühl gehabt, daß da für einen „Thriller“ etwas „thrill“ fehlt. Auch der Liebeswahn, der Alberti und Weigelt, die sich vor den Ereignissen in Frankfurt nie persönlich begegnet sind, sogleich zueinander hinreißt, fällt in die Rubrik „mehr gewollt als gekonnt“.
Noch ein Manko irritiert: Sollte das Buch überhaupt einen Lektor gehabt haben, gehört er gefeuert. Denn der Roman weist mehr Interpunktions- und Rechtschreibfehler auf als mancher Schüleraufsatz und vor allem jede Menge Formulierungen, die ein guter Lektor sofort ausgebessert hätte. Jemandem zuzwinkern heißt bei Genzmer beispielsweise „jemandem ein Auge kneifen“. Den Steward an Bord eines Schiffes schreibt er wie den Nachnamen von James Stewart. Zuweilen stolpert man sogar über Fehler auf Grundschulniveau („eh und jeh“). Das trübt den Lesegenuß, ist aber wohl der Preis, den der Leser bezahlen muß, wenn er einen mit heißer Nadel gestrickten Roman lesen will. Und das, die heiße Nadel, ist angesichts der Brisanz des Themas in diesem Fall nicht unbedingt als Tadel aufzufassen.
Herbert Genzmer: Liquid. Thriller. Solibro Verlag, Münster 2022, broschiert, 432 Seiten, 20 Euro