Dirk Meyers neues Buch über die „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise“ ist die Zusammenfassung seiner Erkenntnisse aus den Euro-Krisen seit 2010 und ihrer politischen Bewältigung. Um die Thematik besser zu strukturieren, hat der Hamburger VWL-Professor den Stoff auf zwei Bände aufgeteilt: Band I umfaßt Analyse und Bestandsaufnahme, Band II Reformoptionen und Konzepte für einen Neuanfang. Meyer schreibt, die Einführung der Einheitswährung sollte das europäische Integrationsprojekt weiter voranbringen.
Helmut Kohl sprach von einem Friedensprojekt, so wollte er den Deutschen den Euro schmackhaft machen. Doch es ging bei der Euro-Einführung nicht um Krieg oder Frieden, sondern um die Abschaffung der D-Mark. François Mitterrand und Giulio Andreotti wollten die D-Mark loswerden, weil sie sie als Störenfried in einem auf Inflation eingestellten politischen Umfeld empfanden. Der Franc und die Lira waren immer wieder zu Abwertungen gezwungen worden, um Frankreich und Italien ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Frankreichs Staatspräsident drängte daher Kanzler Kohl zur Aufgabe der D-Mark. Die Zustimmung zur Wiedervereinigung wird als Hebel zur Abschaffung der D-Mark angesehen.
Die Mitglieder der Europäischen Währungsunion (EWU) wollten vor allem das niedrige deutsche Zinsniveau, das der besonnenen Stabilitätspolitik der Bundesbank zu verdanken war, mitnehmen. Doch leisteten sie selbst keinen Beitrag zur gewollten Stabilitätsunion. Die bisherigen Abwertungsländer der EWU hielten an ihrer gewohnten lockeren Ausgaben-Politik fest. So kam es zu einer faktischen Spaltung der EWU. Da Auf- und Abwertungen als Stoßdämpfer (Dirk Meyer) entfielen, wurde stattdessen der Weg in die Fiskal- und Haftungsunion beschritten. Meyers Kernsatz lautet: Marktkontrolle wird durch politische Kontrolle ersetzt, wobei letztere wirkungslos blieb, weil kein souveräner Staat zu einem finanzpolitischen Sanierungskurs gezwungen werden kann.
Für Ex-Bundesbankpräsident Axel Weber ist aber die deutsche Nachgiebigkeit nicht unschuldig an der Dauerkrise der EWU. So haben Angela Merkel und Emmanuel Macron 2020 einen aus gemeinsamen EU-Schulden finanzierten Fonds zur Beseitigung der Corona-Schäden in Höhe von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen, der in Brüssel auf 750 Milliarden Euro (Next Generation EU) aufgestockt wurde – eine ordnungspolitische Todsünde. Die Große Koalition im Bundestag stimmte dennoch zu, weil sonst die Regierung zu Bruch gegangen wäre. Zudem hat die frühere Bundeskanzlerin bewußt deutschen Bundesbankpräsidenten den Weg zur Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank (EZB) verbaut, weil sie wußte, daß diese sich wohl eher an die EU-vertraglichen Vorgaben halten würden, als sich der politischen Opportunität zu unterwerfen. Um die Eurozone zusammenzuhalten, hat die EZB zu lange Staatsanleihen überschuldeter Mitgliedstaaten aufgekauft und an ihrer Nullzinspolitik festgehalten. Hätte die EZB rechtzeitig gehandelt, so hätte sie die Inflation wirksam unter Kontrolle bringen können. Jetzt haben wir eine trabende Inflation und eine Euro-Haftungsunion zugleich.
Dirk Meyer analysiert und bewertet detailliert die möglichen Wege aus der Dauerkrise – Ausstieg einzelner Länder aus der EWU oder Parallelwährungen. Da der Ausstieg aus der EWU mit enormen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden wäre, vergleichbar mit einer langwierigen komplizierten Operation ohne Narkose, plädiert Meyer für ein Parallelwährungskonzept. Ein flexibler Wechselkurs zwischen wieder eingeführter nationaler Währung und Euro zeige, ob das jeweilige Land eine verläßliche Geld- und Finanzpolitik betreibe. Dirk Meyer hat dieses Konzept bis ins Detail ausgearbeitet, so daß es als Blaupause für die Politik dienen könnte. Eine Studie, die dermaßen akribisch ökonomische und juristische Quellen ausgewertet hat, findet man weder in Deutschland noch in den anderen Mitgliedstaaten. An der Arbeit von Dirk Meyer kann niemand vorbeigehen, der wissen will, wie es gewesen ist und wie es weitergehen könnte.
Dirk Meyer: Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise II. Szenarien für die Zukunft des Euro. Springer Fachmedien Verlag, Wiesbaden 2022, broschiert, 412 Seiten, 27,99 Euro