© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/23 / 06. Januar 2023

„Wir haben es nicht geschafft“
Kfz-Markt: Das Münchner Elektroauto-Projekt Sono Motors vertraut auf ewigen Sonnenschein und grün-naive Anleger, die im Physik-unterricht geschlafen haben
Christian Schreiber

Ende Januar kommt es zum Schwur. Dann wird feststehen, ob ein weiteres grünes Lieblingsprojekt eine Zukunft hat oder die Pläne in einer unteren Schublade verschwinden. Denn: „Wir haben es nicht geschafft.“ Mit diesem offenherzigen Satz rief das Münchner Elektroauto-Start-up Sono Motors Anfang Dezember seine Anhänger zum zweiten Mal dazu auf, finanziell in die Bresche zu springen. Man wolle der eigenen Gemeinschaft eine „letzte Chance geben, das Sion-Programm am Leben zu halten“, hieß es in einer Mitteilung der Sono-Chefs- und Mitgründer Jona Christians und Laurin Hahn.

Sie appellierten an die 3.500 eingetragenen Interessenten, das noch nicht produzierte „zukunftsweisende und alltagstaugliche Elektroauto mit integrierten Solarzellen und innovativen Mobilitätsdienstleistungen“ für einen reduzierten Kaufpreis von 27.000 Euro vorab zu kaufen. Bei einem Mißerfolg der Kampagne wird die Zahlung nicht fällig. Zudem sollen Unterstützer eine feste Wartelistennummer für ihr Auto erhalten.

Die Aktion endet am 27. Januar 2023. Zum Jahreswechsel hatten die Initiatoren nicht einmal ein Drittel der erforderlichen Summe eingenommen. Beim ersten Notruf, Ende 2019, kamen 50 Millionen Euro zusammen. Der aktuelle Kapitalbedarf beträgt jetzt allerdings 100 Millionen Euro, das Doppelte. Der Betrag soll einen Großteil der Investitionen bis zur für 2023 geplanten Vorserienproduktion des Sion abdecken und als erster Schritt einer weitreichenden Finanzierungsstrategie einen positiven Dominoeffekt auslösen.

Selbst Toyota verspricht nur „eine Aufladung bis zu fünf Kilometern“

Doch das erscheint in weite Ferne gerückt. Anfang Januar gab es gerade einmal 1.280 Vorbestellungen. Dabei hatten Öko-Lobbyisten das Solar-Auto noch vor wenigen Jahren als Modell der Zukunft gepriesen. Nie wieder an die Ladestation müssen und kostenlos Strom von der Sonne tanken. Dieser Traum sollte mit der Serienproduktion von Solarfahrzeugen Wirklichkeit werden. Die koreanischen Marken Hyundai und Genesis bieten schon heute zumindest optionale Solardächer in Serienfahrzeugen. Allerdings leisten die nur einen minimalen Beitrag zur Effizienz der Fahrzeuge – Fahren mit selbst produziertem Sonnenstrom funktioniert damit nicht.

„Die im Stand oder während des Parkens gewonnene Energie wird in der Hochvolt-Batterie eingespeist und kann somit für den elektrischen Antrieb genutzt werden“, heißt es zwar in der Werbung für den Toyota Prius Plug-in-Hybrid – aber es sei lediglich „eine Aufladung bis zu fünf Kilometer elektrische Reichweite pro Tag möglich“, gibt der größte und erfolgreichste Autokonzern der Welt selbst zu. Und das auch nur „abhängig von den Wetterbedingungen“ – sprich: in der prallen spanischen Sommersonne und nicht im Hamburger Regenwetter. Während der Fahrt reicht die durch die Sonnenenergie gewonnene Leistung allenfalls für die Beleuchtung, die Klimaanlage oder eine Multimedia-Anlage.

In diese – offenbar praktisch nicht vorhandene – Nische wollte Sono Motors dennoch mit seinem Sion-Modell starten. Gründer Hahn will nicht aufgeben: „Der Meilenstein von 1.000 Vollanzahlungen zeigt, daß es sich lohnt, gemeinsam für den Sion zu kämpfen. Unser Solar-Elektroauto-Programm ist weit fortgeschritten. So haben wir bei einem Solar-Wintertest unter Realbedingungen im Dezember, dem Monat mit dem wenigsten Tageslicht, rechnerisch 28 Kilometer reine Solar-Reichweite pro Woche erreicht. Damit konnten wir rund ein Jahr vor der geplanten Produktion bereits 80 Prozent des erwarteten Winter-Solarertrags erzielen.“

Das geplante E-Auto Sion hat 456 Solarzellen auf der Karosserie, die laut Sono Motors Strom für durchschnittlich 112 Kilometer pro Woche liefern. Der Akku mit einer Kapazität von 54 Kilowattstunden (kWh) soll angeblich für 305 Kilometer reichen – „je nach Wetter und Fahrweise. Die perfekte Reichweite für den Alltag“, behauptet Sono Motors. Der weniger Kofferraum bietende VW ID.3 mit 58-kWh-Akku kam im äußerst wohlwollenden ADAC-Test auf 335 Kilometer Reichweite – hier schummelt Sono Motors also nicht übermäßig. Doch ein Auto vor allem angetrieben mit der Kraft der Sonne, das war eigentlich das Ziel.

Und das scheint in weite Ferne gerückt zu sein. Vor einem Jahr schien die Welt noch rosig zu sein für die Solar-Auto-Pioniere. Damals wagten die Gründer den Sprung an die US-Börse und legten ein gefeiertes Debüt Nasdaq-Index hin. Die Aktien schlossen Ende November 2021 mit einem Kursplus von 155 Prozent auf 38,20 Dollar – der Solarauto-Bauer kam damit auf einen Börsenwert von rund 2,6 Milliarden Dollar. „Wir sind damit einen großen Schritt weiter, den Sion an unsere Community auszuliefern“, sagte Hahn.

Ein Jahr später ist die Stimmung so trist wie das mitteleuropäische Wetter. Vom Ausgabekurs der Aktie ist heute fast nichts mehr übrig, das dadurch eingenommene Geld ausgegeben: Und die Investoren weigern sich, zusätzliches Geld einzubringen. Sie fordern, den Sion aufzugeben und sich stattdessen voll auf das inzwischen einträgliche Solargeschäft zu konzentrieren, das man separat betreiben solle. „Viele Investoren raten uns dazu, daß wir uns auf unser weniger kapitalintensives B2B-Solargeschäft, das bereits Umsätze generiert, konzentrieren und das Sion-Programm aufgeben sollten“, sagt Hahn frustriert. Dabei waren sogar Experten anfänglich begeistert. „Solarmodule am Auto sind keine Spielerei“, sagte beispielsweise Martin Heinrich vom Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme (ISE) mit Blick auf Solarzellen, die mit jeder Generation effizienter und günstiger werden.

„Unser Auto ist keine Alternative, wir zeigen aber, was möglich ist“

Um den Sion schnell auf den Automarkt zu bringen, hat Sono Motors „Ingenieur:innen“ und „Industrieexpert:innen“ bei der Konkurrenz abgeworben. „Pro Tag kommen mit unserem Modell bis zu 35 und im Schnitt 16 Kilometer zusammen“, erklärte Thomas Hausch, der operative Sono-Manager, der zuvor bei Daimler und Nissan gearbeitet hatte. Er rechnete hoch: „Im Jahr sind das fast 6.000 Kilometer. Und zwar nicht in Spanien oder auf Sizilien, sondern in einer Stadt wie München.“ Im Schnitt fahre ein Auto hierzulande weniger als 15.000 Kilometer. „Die Sonne kann also auch in Deutschland einen nennenswerten Anteil der Energie liefern“, sagte Hausch bei der Projektvorstellung. Sono Motors ist aber beileibe nicht das einzige Unternehmen, das sich an der Produktion von Solar-Autos probiert. Ganz weit scheint die niederländische Firma Lightyear, die aus einem Forschungsprojekt der Technischen Universität Eindhoven entstand. Die Stückzahl der Kleinserie beträgt 946 – weil ein Lichtjahr (Lightyear) 9,46 Billionen Kilometer lang ist. Astronomisch mutet auch der Preis an. Gut 250.000 Euro müssen die Käufer berappen, die das an einen Tesla S erinnernde Modell „0“ seit November erwerben können.

In Deutschland könne das Auto im Sommer zwei Monate ohne zusätzlichen Strom fahren, kurze Strecken versteht sich. In Spanien seien es immerhin sieben Monate. Der 31jährige Lex Hoefsloot, einer der fünf Firmengründer und Vorstandschef von Lightyear, gibt unumwunden zu: „Unser Auto ist keine Alternative zu allem, was auf dem Automarkt zu haben ist. Eher wie einst der Tesla Roadster. Wir zeigen, was möglich ist.“ Die Gründer gewannen als Studententeam 2013 und 2015 ein großes Rennen für Solarmobile in Australien.

„Danach“, so Hoefsloot, „fragten wir uns: Warum gibt es das nicht auf der Straße?“ Die Antwort ist relativ einfach. Ein schlechter Wintermonat und die Suche nach einer Ladestation geht los. Wer ein Elektroauto besitzt, der findet meist nur in Großstädten problemlos eine öffentliche Ladesäule, die nicht bereits belegt oder defekt ist. In vielen Klein- und Mittelstädten hinkt die Infrastruktur für Elektrofahrzeuge hinterher, in ländlichen Gemeinden gibt es oft gar keine. Bei derlei Problemen bleibt nur der optimistische Blick in die Zukunft. Lightyear-Chef Hoefsloot ist sich „absolut sicher, daß in 15 Jahren die ersten Autos über die Straßen rollen, die de facto autark unterwegs sind oder nur ein bis zweimal pro Jahr geladen werden müssen“.

Münchner Sono Motors GmbH: sonomotors.com/de/sion

Niederländisches Solarauto-Projekt Lightyear: lightyear.one