© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/23 / 06. Januar 2023

Zinsen treiben Finanzsektor
Geldpolitik: Sinkende Erträge bei Banken und Immobilienfonds / Kryptowährungen verlieren
Thomas Kirchner

Acht Prozent Inflation beim Dollar, im Schnitt über zehn Prozent in der Eurozone – die Fed und die EZB mußten gegensteuern. Steigende Zinsen waren daher das große Thema der Finanzindustrie im vergangenen Jahr. 2023 wird das seine Auswirkungen zeigen. Amerikanische Bankaktien haben 2022 wegen der Zinsen schon schlecht abgeschnitten. Um 22,5 Prozent fiel der MSCI-Index der US-Banken. In der Eurozone lief es noch deutlich besser, der Euro-Stoxx-Bankenindex ging nur um 4,5 Prozent zurück.

Der Unterschied liegt in der deutlich stärkeren Zinserhöhung im Dollar, durch die der Wert der Aktiva der US-Banken stark gesunken ist: Steigen die Zinsen, sind bestehende Kredite und Anleihen mit niedrigem Zins weniger wert. Diese Wertverluste reduzieren das Eigenkapital der Banken, beeinflussen aber unter den derzeit gültigen Buchhaltungsregeln nicht den Gewinn. Trotz guter Gewinnlage sind deshalb Bank of America, Citigroup, Wells Fargo & Co. nun weniger wert.

Langfristige Dollar-Zinsen sind niedriger als kurzfristige Zinsen

Auf der einen Seite stehen Anleger, die den Buchwert einer Bank als Ausgangspunkt für die Bewertung nehmen. Der ist wegen der Wertverluste gesunken. Auf der anderen Seite bewerten Anleger Banken nach ihrem Ertragswert, also den zu erwartenden Gewinnen. Bei steigenden Zinsen dürfte der zunehmen, denn Banken können nun endlich ihre Margen wieder in die übliche Spanne von drei bis vier Prozentpunkten anheben, die in den letzten Jahren auf zeitweise zwei Prozent geschrumpft waren. Gleichzeitig erhöht sich bei geringerem Kapital die Rendite, was für eine höhere Bewertung spräche. Im vergangenen Jahr wurde bei US-Banken auf die Buchwerte geschaut, mit dem Ende von Zinserhöhungen dürfte aber wieder der Blick auf die Ertragskraft in den Vordergrund rücken.

Doch vorerst ist auch der Ertrag der US-Banken gefährdet, weil langfristige Zinsen niedriger sind als kurzfristige, „invertierte Zinskurve“ genannt. Da Banken sich über Einlagen finanzieren und langfristig laufende Kredite vergeben, ruiniert eine solche Zinsstruktur das Geschäft. US-Banken lösen das Problem derzeit noch, indem sie die höheren kurzfristigen Zinsen nicht an ihre Einlagenkunden weiterreichen. Doch die haben Alternativen und können anderweitig deutlich höhere Zinsen bekommen, beispielsweise in Geldmarktfonds. Sichteinlagen schrumpfen deshalb, was übrigens auch zu einer niedrigeren Geldmenge führt, weil Geldmarktfonds von der US-Zentralbank Fed nicht bei der Geldmenge mitgezählt werden. Bleibt die Dollar-Zinsstruktur länger invertiert, wird sich die Ertragslage der US-Banken verschlechtern. Im Euroraum sind langfristige Zinsen derzeit noch höher als kurzfristige Zinsen. Hiesige Banken könnten ähnliche Probleme bekommen, wenn die EZB die Leitzinsen erhöht, langfristige Zinsen aber in Erwartung einer wirtschaftlichen Abschwächung niedrig bleiben.

Steigende Zinsen ließen nicht nur die Werte von Aktiva in Bankbilanzen schrumpfen. Anleger diversifizieren mit festverzinslichen Anleihen, um Schwankungen der Aktienmärkte auszugleichen, doch das schlug in diesem Jahr fehl. Anleihen haben in diesem Jahr Verluste verbucht, zum fünften Mal seit 1972. 13 Prozent Verlust in Dollaranleihen, im Euro sogar 16 Prozent. Besonders schlecht ging es der 2117 fälligen hundertjährigen Anleihe Österreichs. Mußte man Ende 2020 noch bis zu 235 Prozent des Nominalwerts dafür zahlen, war sie im Oktober nur noch 68 Prozent wert – ein Kursverlust von zwei Dritteln, der vergleichbar mit Technologieaktien und für Staatsanleihen außergewöhnlich ist.

Höhere Zinsen zeigen noch keine Auswirkungen auf Immobilienpreise, doch Immobilienaktien und -fonds leiden schon. Mehrere halboffene US-Immobilienfonds, darunter Blackrock und die New Yorker CBRE Group, mußten die Rücknahme von Anteilen beschränken. Börsennotierte Immobiliengesellschaften in Europa ging es besonders schlecht: Vonovia liegt in diesem Jahr mit 55 Prozent im Minus, Deutsche Wohnen mit 46 Prozent nur marginal besser. Trotz des im Dollar höheren Zinsniveaus schnitten US-Immobilienaktien mit im Schnitt minus 25 Prozent besser ab.

Weiter aus der Mode kommen wird in diesem Jahr das „nachhaltige“ Anlegen (Environmental, social, and corporate governance/ESG). Wie schon früher dargelegt (JF 28/22), führten die ungewöhnlich niedrigen Energiepreise ab 2015 zu schlechten Renditen bei Energie-Aktien. Die Klima-Lobby konnte deshalb auf angeblich bessere Anlagechancen bei nachhaltigen Investitionen verweisen. Doch nun kommt Gegenwind, weil ExxonMobile, Chevron, Shell, BP, Total & Co. 2021 milliardenschwere Rekordgewinne verbuchten.

Schlechte Renditen setzen nachhaltige Anlagen unter Druck

Einige republikanisch regierte US-Bundesstaaten ziehen Anlagen ihrer Rentenkassen von Vermögensverwaltern wie Blackrock ab, die Klimapolitik über ihre Treuhänderpflichten gestellt haben und jetzt unterdurchschnittliche Renditen erzielen. Dazu kommen auch Bedenken wegen des strengen US-Kartellrechts: es könnte eine verbotene Absprache sein, wenn Vermögensverwalter im Einklang bestimmten Firmen die Finanzierung verweigern. Doch diese politischen und juristischen Bedenken sind nur Vorwände. Schlechte Renditen sind der wahre Grund, weshalb nachhaltige Anlagen unter Druck stehen.

Steigende Zinsen haben sogar die Kleinanleger eingeholt, die sich im Internetforum WallStreetBets auf Reddit organisierten, SPACs (Akquisitionszweckgesellschaften; „Börsenmantel“) und auch Pleiteaktien zu Höhenflügen verhalfen und mit Kryptowährungen reich werden wollten. Waghalsige Anlagen sind bei Zinsen von vier bis fünf Prozent im Dollar nicht mehr sehr attraktiv. Bei 90 Prozent aller SPACs, einst zu zehn Dollar emittiert, notieren jetzt unter fünf Dollar, ein Viertel sogar unter einem Dollar. Einige davon werden im Laufe des kommen Jahres in Konkurs gehen. Noch suchen mehr als 400 SPACs mit insgesamt 100 Milliarden Dollar nach Firmen, die sie an die Börse bringen können, was angesichts der jetzt niedriger stehenden Börsen leichter geworden sein sollte, gäbe es nicht zu viele davon.

Auch bei Kryptowährungen sind die Anleger nicht glücklich geworden. Wer nicht einem Hackerangriff oder anderem Betrug zum Opfer gefallen ist, kann jetzt oftmals nicht mehr an sein Geld, weil Kryptobörsen Auszahlungen ausgesetzt haben. Wer seine Kryptowährungen außerhalb der Börsen hält, erlitt einen erheblichen Wertverlust. Nur, wer wie bei einem Kettenbrief zeitig eingestiegen ist, hat Gewinn gemacht – auf Kosten anderer. Zinsen bleiben die treibende Kraft im kommenden Jahr, können aber noch von einer Rezession überschattet werden, sollte die schwer ausfallen.