© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/23 / 06. Januar 2023

Linker Aufbruch im Rolls-Royce
Brasilien: Während Neu-Alt-Präsident Lula da Silva seinen Sieg zelebriert, fliegt Ex-Präsident Jair Bolsonaro in den Erholungsurlaub nach Florida
Wolfgang Bendel

In einem offenen Rolls-Royce vorfahrend und unter dem Jubel seiner Anhänger übernahm am 1. Januar Luiz Inácio Lula da Silva von der linken Arbeiterpartei (PT) bereits zum dritten Mal das Amt als Präsident Brasiliens. Kurz zuvor hatte sein Amtsvorgänger Jair Messias Bolsonaro von der rechtsgerichteten Partido Liberal (PL) für einen weiteren Knalleffekt gesorgt, indem er sich zwei Tage vor der Zeremonie nach Orlando im US-Bundesstaat Florida absetzte. In seiner letzten offiziellen Verlautbarung als Präsident erklärte er an seine Anhängert: „Brasilien wird nicht untergehen. Wir haben eine Schlacht verloren, nicht aber den Krieg. Glauben Sie an sich.“ 

Weiterhin ging er auf die Frage ein, warum er die Proteste, die ein Eingreifen des Militärs gefordert hatten, nicht unterstützt hatte, was seine Anhänger sehr enttäuschte. „Ich habe mich nicht an dieser Bewegung beteiligt, ich habe mich zurückgezogen. Ich glaubte und glaube immer noch, daß man nicht darüber sprechen sollte, um die Situation nicht noch mehr zu verschlimmern.“ Und er ergänzte: „der friedliche, geordnete und gesetzeskonforme Protest muß respektiert werden, egal gegen wen oder für wen er ausgeübt wird.“ 

Erhöhung der Anzahl der Ministerien von bisher 22 auf 37

Zu seinem Flug nach Florida äußerte er sich im Vorfeld nicht. Dies ließ später Spekulationen aufkommen, daß er sich einer etwaigen Strafverfolgung nach Aufhebung seiner Immunität als Präsident der Republik entziehen oder es vermeiden wollte, Lula da Silva offiziell die Amtsschärpe umzulegen. Die offizielle Begründung lautete dagegen, es handele sich lediglich um einen Erholungsurlaub.

Der neue Präsident übernahm in Anwesenheit zahlreicher Vertreter anderer Staaten, darunter der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, das Amt. In seiner ersten Ansprache begann Lula versöhnlich: „Ich werde für die 215 Millionen Brasilianer regieren und nicht nur für diejenigen, die mich gewählt haben“, um dann schnell wieder in Wahlkampfrhetorik zu verfallen: „Leider wurde vieles von dem, was wir in 13 Jahren aufgebaut haben, in weniger als der Hälfte dieser Zeit zerstört.“ Dies sei die Schuld „einer Regierung der nationalen Zerstörung, deren Vermächtnis die Geschichte niemals vergeben wird“.

Weiter versprach er „umfangreiche Investitionen“ in Gesundheit, Bildung, Wissenschaft und Kultur, die Wiederaufnahme der Infrastrukturarbeiten, den Ausbau und die Fortsetzung sozialer Programme wie der Bolsa Familia und die Reindustrialisierung Brasiliens. Außerdem wolle er „ein für allemal den Klimawandel bekämpfen“ und „ein für allemal“ die Zerstörung des Ökosystems stoppen.

Für erhebliches Aufsehen sorgte die Tatsache, daß Lula die Zahl der Ministerien von bisher 22 auf gleich 37 erhöhte. Nur ein einziges Mal in der brasilianischen Geschichte hatte es mehr Ministerien gegeben, nämlich unter Dilma Rousseff, ebenfalls von der PT. Diese Ministerien wurden zu einem erheblichen Teil mit Vertretern von Parteien besetzt, die Lula braucht, um seine Politik im Parlament durchsetzen zu können. Seine PT verfügt dort nur über etwa 20 Prozent der Sitze.

Wie schnell die Versprechungen Lulas mit der Realität kollidieren können, zeigten die Reaktionen der Märkte. Seit dem Wahlsieg Lulas fiel der brasilianische Real um gut zehn Prozent gegenüber Dollar und Euro, während am 1. Januar die Preise für Benzin landesweit um über zehn Prozent nach oben schossen.