© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/23 / 06. Januar 2023

Zweifel an Meloni & Co.
Südtirol: „Exit-Strategien“ angesichts der neuen Mitte-Rechts-Regierung in Rom
Fabio Collovati

Als die italienische Mitte-Rechts-Regierung unter Giorgia Meloni vor einigen Wochen ihr Amt antrat, da war in den Reihen der Europäischen Union die Sorge groß, Italien könne den Weg der finanziellen Stabilität, den ihr Vorgänger, der frühere EZB-Banker Mario Draghi, eingeschlagen hatte, verlassen. Doch in der Realität sieht dies anders aus. Die 45jährige ist tunlichst bemüht, die Finanzmärkte nicht zu beunruhigen und die EU-Partner bei Laune zu halten. Die neue Regierung verlangsamt zwar den Abbau der Neuverschuldung gegenüber der früheren Planung, doch die Abweichung hält sich in Grenzen. 

Größere Mehrausgaben sind allein zur Milderung der Energielasten geplant. Was in Brüssel allgemein erleichtert zur Kenntnis genommen wurde, stößt auf italienischem Territorium nicht überall auf Zustimmung. Vor allem in Südtirol.  Seit der sogenannten „Streitbeilegungserklärung“ im Jahr 1992 gilt die „Südtirolfrage“ zwischen Italien, Österreich und der EU als weitgehend geklärt. Die Region genießt eine weitgehende Autonomie, die weit über die anderer Landesteile hinausgeht. 

Wenig Interesse, für ewig den maroden Süden aufzupäppeln

Die Unabhängigkeitsbestrebungen haben seitdem spürbar abgenommen, entsprechende Forderungen sind noch aus Kreisen der politischen Rechten zu hören. Dort wurde der Wahlsieg Melonis und ihrer postfaschistischen Brüder Italiens mit Argwohn aufgenommen. Die Initiative „Iatz!“ (jetzt) fordert auch mit Blick auf das neue Haushaltsgesetz Italiens, eine „Exit-Strategie“ für Südtirol zu entwerfen. Die Initiatoren stammen aus den Reihen des Südtiroler Schützenbundes, der sich seit jeher für eine Einheit Tirols und die Loslösung von Italien einsetzt.

„Nationalistische Kräfte, immer öfter aber auch interethnische und linke Bewegungen, arbeiten mit Nachdruck daran, zentrale Pfeiler unserer Autonomie zu untergraben. Eine Landespolitik, die hier nachgibt, gefährdet unsere Zukunft als österreichische Minderheit deutscher und ladinischer Sprache und Kultur im fremden Nationalstaat Italien“, heißt es in einer Stellungnahme zum Wahlsieg Melonis. Mit deren Haushaltspolitik geht die Initiative „Iatz“ hart ins Gericht: „Ein Großteil der Finanzmittel kommt aus Europa, aber ein Teil des Geldes sind öffentliche Schulden, die einmal zurückgezahlt werden müssen. Wer wird dies wohl sein? Wir zum Glück nicht. Aber dieser ‘jemand’ sind unsere Kinder und Nachfahren, denen ein mit Schulden überladener Betrieb überlassen wird, und die künftig keine Spielräume mehr für eine vernünftige Wirtschaftspolitik und für eine gerechte Zukunft haben werden“, sagt Iatz-Sprecher Franzjosef Roner.

Die Argumente sind seit Jahrzehnten die gleichen. Hier das wirtschaftsstarke Südtirol, dort das verschwenderische Rom, das Steuergelder im Mafia-Sumpf Süditaliens versickern läßt. „Die Schuldenberge in Italien sind nach wie vor sehr, sehr hoch“, warnt Volkswirt Marco Wagner von der Commerzbank. „Wir haben eine Staatsverschuldung von rund 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und die Maastricht-Grenze liegt bei 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Italien liegt ganz deutlich darüber.“ 

Das italienische Problem liegt vor allem im Süden. Hunderttausende junge Menschen sind in den vergangenen Jahren Richtung Norden abgewandert, auf der Suche nach einer Perspektive. Ohne seinen gebildeten Nachwuchs droht der „Mezzogiorno“ auszubluten und den Anschluß an den wohlhabenden Norden vollends zu verlieren. „Humankapital ist entscheidend für wirtschaftliches Wachstum – ohne seine Jugend wird der Süden nicht vorankommen“, bestätigt Gaetano Vecchione, Ökonom an der Federico II Universität in Neapel. Hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Schulen, korrupte Verwaltung: Den Italienern im Süden des Landes geht es schlecht. „Sogar die Mafia macht sich davon“, schrieb der Bestsellerautor Roberto Saviano schon vor Jahren – denn es gibt „nichts mehr zu melken“. Im reichen Norden ist dies seit Jahrzehnten ein Aufregerthema. Milliarden haben die EU und die jeweiligen italienischen Regierungen in den Süden gepumpt, nicht selten versickerte das Geld in dunklen, regionalen Kanälen.

„Südtirol als autonome Region hätte alles Recht der Welt, sich von dieser Schuldenfahrt abzukoppeln, bevor es zu spät ist. Jetzt schon müßten alternative Finanzgesetze angedacht werden, damit die öffentlichen Finanzen und die Schulden vom Staat losgelöst und unabhängig sind“, heißt es weiter. 

Der Schützenbund sieht die Südtiroler Identität zunehmend untergraben und hadert mit den Autonomie-Beschlüssen aus dem Jahr 1992. „Gegenüber Staatsbeamten bei Polizei, Finanz, Steuerbehörde, Post oder Militär ist nach wie vor kein Gebrauch der deutschen Sprache möglich. Hier werden autonomiepolitische Prinzipien tagtäglich mit Füßen getreten“, heißt es in einer Mitteilung des Bundes, der nicht mit Kritik an der regionalen Regierung spart. Prinzipien des Minderheitenschutzes würden leichtfertig in Frage gestellt. 

Plötzlich spricht Giorgina Meloni von Autonomiezugeständnissen 

„Am liebsten würde Rom den Proporz ganz abschaffen. Daß das für unsere Minderheit das Aus bedeutet, wird von diesen Kräften bewußt unterschlagen“, so der Südtiroler Schützenbund. Mit ein wenig Neid blicken die Schützen auch auf ihre „Brüder“ im österreichischen Bundesland Tirol. Immer wieder zeige sich, daß Tirol über größere Entscheidungsspielräume verfüge als das angeblich so autonome Land Südtirol. „Eine Wiedervereinigung mit Österreich würde nicht nur den kulturellen und historischen Bedingungen gerecht, sondern würde Südtirol auch zurück in einen zukunftsfähigen EU-Staat bringen. Dabei könnte Südtirol ein Teil des Bundeslandes Tirol oder ein eigenes Bundesland werden – dies würden die Tiroler diesseits und jenseits des Brenners gemeinsam demokratisch entscheiden“, fordern sie.

Die Initiative „Iatz!“ sieht sich durch den Wahlsieg Melonis im Aufwind. Eine endgültige und auch organisatorische Eingliederung Südtirols in den italienischen Staat steht traditionell auf der Agenda der italienischen Rechten. Meloni empfahl vor einigen Jahren Südtirolern, die sich mit Italien nicht identifizieren können, nach Österreich auszuwandern. 

Nach ihrem Wahlsieg äußerte sie sich moderater und sprach sogar von weiteren Autonomiezugeständnissen. Kritiker sehen darin ein politisches Kalkül. Für „Iatz!“ ist die Lösung ohnehin klar. „Los von Rom“, heißt es: „Denn oft ist es viel zu früh zu spät.“