Hänseleien in der Schule waren in vergangenen Jahrhunderten Alltag. Auch Prügeleien. Was zur Zeit allerdings vielen Eltern zu Recht Sorgen bereitet, und worunter Tausende Schulkinder leiden, sind Bedrohungen mit Waffengewalt und Erpressungen. Lehrer schweigen viel zu oft. Politiker verschleiern das Problem. Die einen aus Angst vor den übergeordneten Behörden, vor Auseinandersetzungen mit den Eltern der Täter, vor den Tätern selbst. Die anderen aus Angst vor den kommenden Wahlen. Alleine bleibt das Opfer. In der JUNGEN FREIHEIT erzählt jetzt ein Vater, was er alles erlebt hat und wie sein Kind leidet.
„Was hier in Bremen abgeht ist, entschuldigen Sie die flapsige Formulierung, verdammt übel“, sagt Peter Beck. Der Polizeibeamte außer Dienst ist Vater von zwei Jungen und einem Mädchen. Beck sitzt für die Wählervereinigung Bürger in Wut als Abgeordneter in der Bremer Bürgerschaft. Mit seiner Familie wohnt er im Stadtteil Huchting. „Hier haben 60 bis 70 Prozent der Schüler Migrationshintergrund“, so Beck. Sein Sohn wurde 2015 in die Grundschule „An der Delfter Straße“ eingeschult, eine Inklusionsschule. „Und genau hier beginnt das Problem“, sagt der Ex-Polizist. „Die ersten Schultage meines Kindes waren geprägt durch schwerst traumatisierte Mitschüler, die im Unterricht mit Stühlen um sich warfen und die sogar auf die Klassenlehrerin losgingen, ein Kind wollte sie beißen. Der ständige laute Geräuschpegel in dieser Schulklasse schüchterte unseren Jungen auf Dauer immer weiter ein.“
Das Schulsystem ist in jedem Bundesland unterschiedlich – Bildung ist Ländersache. In Bremen regieren seit 1947 die Sozialdemokraten. Laut Pisastudie rangieren die Schüler der Hansestadt regelmäßig an der unteren Skala der 16 Bundeländer, aktuell sind die Bremer Schlußlicht. Der Senat hingegen erklärt den Wert dieser Inklusionsklassen folgendermaßen: „In der Klasse ergibt sich damit eine große Vielfalt. Jedes Kind bringt dabei etwas Besonderes mit, das es zu fördern gilt. Das miteinander und voneinander Lernen ist ein Grundprinzip des Unterrichts, von dem lernstarke wie lernschwache Kinder gleichermaßen profitieren.“
Für Beck klingt das wie Hohn. Zwei Jahre wird sein Sohn gehänselt und gemobbt. Die Lehrerin geht in den Mutterschutz, Unterricht findet nur noch mit Vertretungslehrern statt. „Kurz nach den Sommerferien im August 2017 kam es, wie es vermutlich kommen mußte und unser Sohn, wir sprechen hier vom Beginn seines dritten Schuljahrs dazu, daß er auf dem Pausenhof körperlich angegriffen wurde, indem zwei Mitschüler unseren Jungen zu Boden stießen und auf ihn eintraten.“ Die Eltern lassen durch eine Kinderärztin die Verletzungen, körperliche wie auch seelische, attestieren. Sie bemühten sich darum, einen Schulwechsel zu organisieren. Obwohl es Beck ganz besonders ärgert, daß nach seiner Auffassung nicht das Opfer, eben sein Sohn, sondern die Täter, zwei Schulkameraden, die Schule hätten verlassen sollen. Eine pädagogische Mitarbeiterin, schildert Beck gegenüber der JF, habe ihm erzählt, daß sie „ihre Kinder auf einer Privatschule eingeschult hätte, sie dieses nur empfehlen könne und daß für unseren Jungen einem Schulwechsel nichts entgegenstehen werde.“
Auch Lehrer werden von Schülern und Eltern bedroht
Unabhängig von der Organisation des Schulwechsels stellt Beck Strafantrag gegen die beiden Täter wegen Körperverletzung. „Da es sich bei ihnen um Kinder handelte, kam nicht mehr dabei heraus als eine „Gefährderansprache“ durch einen Stadtteilpolizisten, und mehr als ein Du-Du-Du passierte dann auch nicht.“ Schulische Sanktionen gegen diese zwei kindlichen Täter sind Beck nicht bekannt.
Doch wie schlimm steht es in Sachen Kriminalität an Bremer Schulen? Polizeisprecher Nils Mat-
thiesen sagte der JF: „Im Jahr 2021 wurden insgesamt 452 Straftaten an Schulen im Land Bremen in der PKS erfaßt.“ 57 Prozent dieser Straftaten seien Diebstahlsdelikte und Sachbeschädigung. Insgesamt stellte die Polizei 55 Körperverletzungsdelikte fest, „was einen Anteil von zwölf Prozent an allen hier erfaßten Straftaten ausmachte“, so Matthiesen. In 20 Fällen handelte es sich um gefährliche und schwere Körperverletzung. 23 Delikte wurden als Gewaltkriminalität verbucht. Mit Kontaktbeamten und Experten vom Präventionszentrum gehe man „auch proaktiv in die Schulen, um anlaßbezogen aufzuklären und richtiges Verhalten zu schulen“.
Das hört sich ja gar nicht so dramatisch an. Schließlich werden 70.500 Schüler in Bremen an den öffentlichen Schulen von 5.686 Lehrern unterrichtet. Allerdings scheint es vielmehr so zu sein, daß Kriminalität an und in Schulen nur selten angezeigt wird. Ein Indiz dafür ist eine Studie des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Er läßt seit 2016 Lehrer dazu befragen, wie hoch ihre Berufszufriedenheit sei. Diesmal befragte das Meinungsforschungsinstitut forsa bundesweit über 1.300 Schulleitungen speziell zum Thema Gewalt gegen Lehrkräfte. Die Ergebnisse wurden im vergangenen November auf dem Deutschen Schulleitungskongreß in Düsseldorf veröffentlicht.
Sie sind für Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) ein Skandal: „Fast zwei Drittel der Schulleitungen meldeten Fälle von psychischer Gewalt in den letzten fünf Jahren, ein Drittel meldete körperliche Angriffe.“ Die Täter: Schüler und/ oder deren Eltern. Ein Drittel der Schulleitungen gab an, daß Fälle von Gewalt nur zum Teil oder gar nicht aufgefangen werden konnten: „In den meisten Fällen lag dies daran, daß Eltern (78 Prozent) und Schüler (75 Prozent) nicht kooperationswillig und/oder nicht einsichtig waren“, so der Verband. „Aber auch der bürokratische Aufwand der Meldung von Gewaltvorfällen (57 Prozent) und die Überlastung durch die Fülle an anderen Aufgaben (55 Prozent) wurden vielfach als Hinderungsgründe ins Feld geführt.“
Über 30 Prozent der Schulleitungen gaben an, daß das Schulministerium oder die Schulverwaltung sich des Themas nicht ausreichend annehmen würden, und 19 Prozent meldeten sogar zurück, daß die Meldung von Vorfällen von den Schulbehörden nicht gewünscht sei. Beckmann: „Wenn Gewaltvorfälle vom Dienstherren ignoriert werden oder die Meldung von den Schulbehörden nicht gewünscht ist, ist das schlichtweg ein Skandal. Es gehört zur Fürsorgepflicht des Dienstherren, daß er seine Beschäftigten schützt und derartigen Meldungen nachgeht.“
Ende des vergangenen Jahres demonstrierten anschaulich die Grundschüler der Tami-Oelfken-Schule in Lüssum, im Bremer Stadtteil Blumenthal, wie das Miteinander an einer Bremer Grundschule aussehen kann. Am 6. Dezember veröffentlichte die Bild-Regionalausgabe ein Foto eines „komplett verwüsteten“ Klassenraumes. Stühle waren umgeworfen worden. Spiele auf den Boden geschmissen worden. Eine Tafel lag am Boden. Die Zeitung stellte die Frage: „Tragischer Einzelfall oder Spitze des Eisberges?“ Das Lehrpersonal hatte jedenfalls eine „Überlastungsanzeige“ an die Bremer Schulsenatorin Sascha Aulepp (SPD) gemeldet. Demnach, so berichtet die Zeitung, terrorisierten Schüler im Alter von 6 bis 10 Jahren die Schule. Angriffe auf Lehrer, Verwüstung der Klassenräume, sexuell konnotierte Beleidigung der Lehrerinnen, Arbeitsverweigerungen seien an der Tagesordnung.
„Da heißt es: ‘Du Hurensohn’ oder ‘Du Schlampe’“
Beck hatte seinen Sohn auf einer anderen Schule anmelden können. Nach der vierten Klasse kam das Kind allerdings wieder nach Huchting auf die Oberschule. „Die Schülerschaft in der Klasse hat zu etwa siebzig Prozent Migrationshintergrund oder ist aus sozialschwachen Familien. Da heißt es: ‘Du Hurensohn’ oder ‘Du Schlampe’. Hier wurde unser Junge wieder zum Opfer von Beleidigungen wie zum Beispiel: ‘Deutsche Kartoffel’ und ‘Nazi!’“
Am 14. November 2022 wird Becks Sohn von einem Schulkameraden angegriffen und nach Wertsachen durchsucht. „Unser Junge war völlig verängstigt.“ Beck informiert die Schulleitung. „Man versuchte uns insofern zu beschwichtigen, versprach, daß man innerhalb der Schule in Zusammenarbeit mit dem Jugendbüro diesen Vorfall klären wollte.“ Das ist Beck zu wenig. Er wollte selbst Anzeige erstatten. „Der Zentralruf der Polizei teilte mir allerdings mit, daß ich dafür einen Termin bräuchte und vor dem 22. November des vergangenen Jahres kein Termin mehr frei wäre.“ Er ging direkt zur Staatsanwaltschaft.