© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/23 / 06. Januar 2023

Marc Elsberg. In „Blackout“ nahm er vorweg, was heute jederzeit Realität werden kann. Einiges ist bereits eingetroffen.
Der dunkle Prophet
Dietmar Mehrens

Als tatsächlich passiert, wovor einige gewarnt, woran die meisten aber nicht glauben wollten, wird es schlagartig „stockfinster, die Ampeln, eben noch grün, waren verschwunden … und infernalisches Gebrüll aus Hupen und kreischendem Metall umfing ihn“. Deutlich reißerischer als sein US-Kollege Don DeLillo in seiner sachverwandten Novelle „Die Stille“ (JF 16/21) läßt Marc Elsberg seine Blackout-Phantasie beginnen, die derzeit neue Aufmerksamkeit erfährt. 2012 gelang dem Autor mit „Blackout. Morgen ist es zu spät“ ein spektakulärer Erfolg – erstmals traten einem breiten Publikum die katastrophalen Folgen eines solchen Ereignisses vor Augen. Das wohlige Gruseln aber, das man damals im sicheren Jetzt beim Lesen über eine düstere Zukunft empfand, hat sich zehn Jahre später in reales Schaudern verwandelt. Denn aus dem seinerzeit in der Kategorie „Science Fiction“ preisgekrönten Buch ist eine Beschreibung geworden, die heute jederzeit zu unserer Gegenwart werden kann. So sehr hat Elsbergs dunkle Prophetie wieder Konjunktur, daß Sat.1 nun eine Verfilmung als Sechsteiler ausstrahlen  will.

Der 1967 als Marcus Rafelsberger geborene Wiener konfrontiert seine Leser mit einer Kettenreaktion des Schreckens: Kraftwerke schalten sich ab, Fahrstühle bleiben stecken, sein Held, der Informatiker Piero Manzano, muß lernen, daß nicht nur jede Ampel, sondern auch die überlebenswichtige Wasserversorgung am Stromnetz hängt. Manzano kommt einer Sabotage auf die Spur, wie es sie jüngst auch in der Realität gab: Hacker-Angriffe auf Krankenhäuser nehmen massiv zu, in Norddeutschland standen am 8. Oktober Züge still, und in Paris waren am 8. Dezember 125.000 Haushalte ohne Strom.

Bereits am 12. Juni 2019 war die Bundesrepublik nur noch Minuten von einem kontrollierten Blackout weg. 

Auf 800 Seiten inszeniert Elsberg einen Wettlauf gegen die Zeit. „Unglaublich fesselnd“, urteilte die Rheinische Post, „elektrisierend“ nannte den „beklemmenden Wissenschaftsthriller“ der Stern. Was bei Erscheinen des Romans niemand ahnte: Am 12. Juni 2019 hätte sich Elsbergs Szenario bereits teilweise um ein Haar bewahrheitet. Die akute Strom-Unterversorgung enthüllte zwei Jahre später der Spiegel: Die Leistung von sechs Atomkraftwerken fehlte, die Bundesrepublik war nur Minuten von einem kontrollierten Blackout, dem sogenannten Brownout entfernt. Den plant inzwischen auch das Umweltministerium Baden-Württemberg ein. Dabei werden stromintensive Betriebe oder ganze Stadtviertel wegen „Lastunterdeckung“ vom Netz genommen.

Begonnen hat der Schriftsteller als Industriedesigner, er arbeitete in der Werbebranche und machte sich als Kolumnist des österreichischen Standard einen Namen. Um die Jahrtausendwende hatte der freie Texter etwas Leerlauf, fing an Romane zu schreiben. Mit mäßigem Erfolg. „Blackout“ katapultierte ihn in den Olymp der Spannungsautoren. Auf einmal saß der Mann, der das Mobiltelefon „die größte Wanze in unserem Leben“ nennt, als Krisenexperte in Talkshows. 2014 folgte sein nächster, ebenfalls verfilmter Knüller „Zero“. Wie „Blackout“ übersetzt in über ein Dutzend Sprachen – ein globaler Millionenerfolg zu einem globalen Thema. Aber ist der Verfasser von mittlerweile fünf Bestsellern selbst auf einen Blackout vorbereitet? Er bevorrate, was das deutsche Innenministerium empfiehlt: „Für ungefähr zwei Wochen Lebensmittel und Wasser.“ Marc Elsberg ist optimistischer als seine Bücher.