© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Im Regenbogenland lockt der Wunschstern
Film: Das zu Weihnachten in die Kinos kommende Animationsabenteuer „Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch“ nervt
Dietmar Mehrens

Schon klar, eigentlich ist der gestiefelte Kater eine Figur aus dem Kulturschatz der Gebrüder Grimm beziehungsweise ihres französischen Kollegen Charles Perrault. Als Nebenfigur im „Shrek“-Universum erschloß sich die mit einem starken spanischen Akzent und Zorro-Allüren ausgestattete Miezekatze jedoch eine ganz neue Generation von Kindern. In Sachen Witz und doppelter Boden haben inzwischen allerdings längst die Minions aus dem Hause Universal dem Dreamworks-Studio den Rang abgelaufen.

Der neue Gestiefelte-Kater-Film bestätigt diesen Befund: Der spanische Akzent nervt, viele Figuren sind überzeichnet, und trotz dreidimensionaler Animation wirkt die Handlung eindimensional und abgedroschen. Zum x-ten Mal müssen tierische Helden durch ein farbenfrohes Abenteuerland pilgern, sich unterwegs verschiedenen Herausforderungen stellen, Feinden trotzen und Nervensägen widerstehen, um schließlich ein verheißungsvolles Ziel zu erreichen. Dabei mühen sich die Grafiker und Trick-Spezialisten redlich, auch diesmal wieder ein kunterbuntes Feuerwerk der Animationen und Emotionen abzubrennen, was ihnen auch gelingt. Nur springt dabei leider kein Funke über. „Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch“ ist nicht mehr als ein mattes Nachglimmen der Genialität von „Shrek“.

Von neun Leben hat der Gernegroß acht verbraucht

Dabei ist der Beginn vielversprechend: Da narrt der „furchtbare Held der Herzen“ (deutsche Stimme: Benno Fürmann) einen feisten Gouverneur und sorgt für allerhand Trubel bei Hofe. Gerade als der Schuhkarton-Tiger jedoch vor der Menge seiner begeisterten Anhänger das Lied „Die Legende wird niemals sterben“ anstimmen will, wird er von einer Glocke erschlagen und muß entsetzt feststellen, daß er acht von seinen neun Leben verbraucht hat. Prompt gelingt es dem großen, bösen Wolf doch tatsächlich, der Flohschleuder Angst einzujagen. Die Lässigkeit ist weg. Um nicht sein letztes Leben auch noch aufs Spiel zu setzen, muß der gestiefelte Gernegroß zum Schmusekater in Mama Lunas Heim für Katzen werden. Da das Leben dort aber langweiliger zu werden droht, als für einen Kassenknüller in der Weihnachtszeit ratsam ist, stellt das Drehbuch dem Fellbeutel den penetranten Pinscher Perro, einen Hund im Katzenpelz, sowie die hinreißende Kitty Samtpfote an die Seite und schickt das Trio auf die Reise durch einen finsteren Wald.

Am Ende der Expedition lockt der mysteriöse Wunschstern, eine Art McGuffin für Kinder, mit dessen Hilfe das Märchenkätzchen sein Lebenskonto aufzufüllen hofft. Denn wer zum Wunschstern gelangt, hat einen Wunsch frei. Wie Kai aus der Kiste hüpfen, damit irgendwo immer was los ist, der große, böse Wolf, Goldlöckchen und ihre drei Bären sowie ein fieser Fettsack mit lila Haaren und schrägen Schergen je nach Bedarf ins Szenenbild. Auch andere treiben ihre drängenden Wünsche nämlich in Richtung Wunschstern.

Natürlich ist der große, dunkle Wald in Wahrheit ein verwunschenes oder auch nicht verwunschenes Regenbogenland. (Das hängt offenbar von dem Blick ab, den man auf die Wunderlandkarte wirft.) Goldlöckchen darf, passend dazu, in einer leider wenig witzigen Neuinterpretation ihrer Geschichte mit den drei Bären Propaganda für die Regenbogenfamilie machen (ist doch egal, wer Goldies leibliche Eltern sind). Und in einer überhaupt nicht subversiven Moral von der Märchengeschicht’ lernen brave Kinder auch diesmal wieder, daß Freundschaft und Vertrauen viel, viel wichtiger sind, als neun Leben oder einen Wunsch frei zu haben. 

Ist das also der große Weihnachtsfilm des Jahres 2022, den man mit der ganzen Familie gucken und auf keinen Fall verpassen sollte? Nein.

Kinostart ist am 22. Dezember 2022