© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/22 / 02. Dezember 2022

Kabinenklatsch
Das Positive sehen
Ronald Berthold

Wenn ich ein regelmäßiger Leser dieser Kolumne wäre, würde ich den Typen, der sie verfaßt, für einen alter Meckerkopp halten. Immer hat der was auszusetzen. Ständig macht er gegen die Politisierung des Fußballs Front. Kann der sich eigentlich auch mal freuen? Ja, kann ich. Ich bin sogar ein ziemlich positiver Mensch, lasse mich nicht so schnell unterkriegen. Auch nicht von den Infantinos, Faesers und Neuers. Ich gucke sogar WM-Spiele und habe Spaß dabei.

Denn die haben auch Positives zu bieten. Die japanischen Fans räumten nach dem Deutschland-Spiel ihren Stadion-Block auf, und die Kabine der „Blue Samurai“ sah nach dem Sieg aus wie geleckt. Da gibt es Nationen, die keine Zeichen setzen, sondern einfach handeln. Und auch die Fifa hat eine wirklich schöne Neuerung eingeführt. Nach dem Freistoß-Spray, über das sich anfangs viele lustig gemacht haben, das sich aber vom ersten Moment an bewährt hat, ist sie nun die Nachspielzeit angegangen.

Zunächst habe ich mich gewundert, war unschlüssig. Zwölf Minuten? Jetzt finde ich es richtig gut. Denn ich möchte möglichst viel vom Spiel sehen. Die ständige Zeitschinderei ging mir immer auf die Nerven – also dann, wenn sie nicht die Mannschaft betrieb, mit der ich es halte. Die Fifa will die Nettospielzeit erhöhen und hat Erfolg. Jetzt muß sich niemand mehr über den ausgiebigen Torjubel oder den langsamen Spielerwechsel des Gegners beschweren. „Sie nehmen Zeit von der Uhr“, sagten unsere Reporter dann oft gern. Nun nicht mehr. Kommt obendrauf. Es ist eben niemals alles nur schlecht. Mein Lebensmotto lautet übrigens: Selbst, wenn eine Uhr stehenbleibt, geht sie zweimal am Tag richtig.