© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/22 / 04. November 2022

Stoff unter die Leute bringen
Lauterbachs Alleingang: Wie wird der Gesundheitsminister die bestellten Corona-Impfdosen los?
Björn Harms

Wer gilt in Deutschland eigentlich noch als frisch geimpft? Karl Lauterbach behält den Überblick: „Die dritte oder eine weitere Impfung darf höchstens drei Monate zurückliegen“, erklärte der SPD-Gesundheitsminister jüngst noch einmal im ZDF. Angesichts der Diskussionen um eine allgemeine Maskenpflicht in Innenräumen könnte diese Festsetzung dramatische Auswirkungen haben. Ein Großteil der Bevölkerung müßte sich zum vierten Mal impfen lassen, wenn sie ohne Maske am öffentlichen Leben in Kneipen, Restaurants oder Kinos teilnehmen will – sollte die Pflicht zum Tragen der Maske tatsächlich umgesetzt werden. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die vierte Impfung aktuell nur für über 60jährige oder Personal in Pflegeeinrichtungen und im Kankenhaus. 

Doch selbst einstige Verfechter von knallharten Corona-Maßnahmen wechseln derzeit das Team. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will vorerst keine drastischen Maßnahmen mehr ergreifen. Deutschland sei auf dem Weg „von der Pandemie zur Endemie“. Er könne das „ständige Gemeckere von Herrn Lauterbach und seine Warnungen nicht mehr hören“, erklärte Söder auf dem CSU-Parteitag am Wochenende. Eine Maskenpflicht sei falsch, pflichtete auch Virologe Hendrik Streeck in der Bild am Sonntag bei. Mit ihr könne man keine Corona-Welle kontrollieren. „Die Lehre aus zweieinhalb Jahren Pandemie ist: Maßnahmen können eine Corona-Welle verkleinern, aber nicht brechen.“

Lauterbach steht weiter vor großen Problemen. Wie wird sein Ministerium den bestellten Corona-Impfstoff los? Bereits jetzt verfallen zahlreiche Dosen. „Bis September 2022 sind nach Kenntnis der Bundesregierung insgesamt ca. 6,2 Millionen Covid-19-Impfstoffdosen im zentralen Lager (…) verfallen“, teilte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. Das dürfte nur der Anfang sein. „Daß Impfstoff verworfen wird, ist logische Konsequenz aus dem Portfolio-Ansatz“, gibt das Ministerium zu. Im April hatte Lauterbachs Behörde der JF noch großspurig angekündigt: „Konservativ gerechnet gibt es in diesem Jahr einen Bedarf von 125 bis 165 Millionen Impfstoff-Dosen.“

Doch wie sieht es derzeit aus? Hält das Gesundheitsministerium an seiner damaligen Einschätzung fest? Oder waren die Zahlen zu hoch angesetzt? Eine konkrete Antwort vermeidet die Behörde: „Wie viele Impfstoffdosen in den nächsten Monaten benötigt werden, ist abhängig vom weiteren Verlauf der Pandemie und von der Impfbereitschaft der Bevölkerung“, teilt das Ministerium lediglich mit. Sonderlich groß ist die Impfbereitschaft in Deutschland jedoch nicht. Seit dem 1. Januar wurden laut den Daten des Robert-Koch-Instituts 33,5 Millionen Impfungen verabreicht. Somit klafft eine Lücke von 91,5 bis 131,5 Millionen Impfstoff-Dosen für die Monate November und Dezember, damit die Prognose aus dem April noch erfüllt werden kann. Ist das wahrscheinlich? Entsprechend den Einschätzungen aus dem Frühjahr bestellte das BMG seine Impfstoffe. Somit droht ein weiterer Verfall von Millionen Dosen.