© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Das Inferno im Atoll-Paradies
Vor siebzig Jahren wurde die erste Wasserstoffbombe gezündet
Thomas Schäfer

Unter dem Eindruck des ersten erfolgreichen sowjetischen Atomtests am 29. August 1949 wies US-Präsident Harry S. Truman die Atomic Energy Commission seines Landes am 31. Januar 1950 an, die Entwicklung von „allen Arten von atomaren Waffen fortzusetzen, einschließlich der sogenannten Wasserstoff- oder Superbombe“. Damit meinte er eine Fusionswaffe, bei der es zur Verschmelzung der Atomkerne von Wasserstoffisotopen kommt, wobei noch mehr Energie frei wird, als während der Detonation einer klassischen Kernspaltungsbombe.

Die Erprobung des neuen Wirkprinzips fand am 8. und 24. Mai 1951 im Rahmen der „Operation Greenhouse“ statt und geriet zum Fehlschlag. Daraufhin erfolgte ein Wechsel zum alternativen Teller-Ulam-Design, das erfolgversprechender zu sein schien und anläßlich der Zündung der nächsten Versuchsbombe namens „Ivy Mike“ getestet werden sollte. Bei diesem Sprengsatz handelte es sich noch um keine abwurffähige Waffe, sondern um eine komplexe, 74 Tonnen schwere Apparatur mit mächtigen Kühlanlagen für das flüssige Deuterium, deren Herzstück, die „Wurst“, über sechs Meter hoch war und als Zünder eine TX-5-Atombombe enthielt.

Die Pazifikinsel Elugelab verschwand für immer 

Die erste Wasserstoffbombenexplosion der Geschichte erfolgte am 1. November 1952 um 7.14 Uhr Ortszeit auf der Insel Elugelab im Eniwetok-Atoll, das damals zum Treuhandgebiet der Pazifischen Inseln gehörte, welches seit Juli 1947 von den USA verwaltet und deren Bewohner vertrieben wurden. Der Feuerball der Detonation erreichte einen Durchmesser von fünf Kilometern, die anschließend entstandene radioaktive Pilzwolke wuchs schnell bis auf 45 Kilometer Höhe und 470 Kilometer Umfang. Durch die Druckwelle wurden 80 Millionen Tonnen Korallengestein pulverisiert, und Elugelab verschwand für immer von der Karte – an Stelle des Eilands klafft seither ein drei Kilometer großer Krater im Riff.

Wie sich herausstellte, war die Sprengkraft von „Ivy Mike“ um einiges stärker als vorausberechnet: Sie entsprach 10,4 statt sieben Megatonnen TNT-Äquivalent, also etwa dem 750fachen der Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe. Doch das reichte manchen US-Wissenschaftlern, Militärs und Politikern immer noch nicht aus. So ventilierte man im Weißen Haus und im Pentagon zeitweise Pläne bezüglich des Baus von 200-Megatonnen-Wasserstoffbomben, die von ferngesteuerten B-52 abgeworfen werden sollten. Und der Physiker Bruno Augenstein von der RAND Corporation schlug sogar vor, eine 1.000-Megatonnen-Bombe zu entwickeln.

Allerdings hatte die stärkste jemals getestete Wasserstoffbombe der USA „Castle Bravo“ dann letztlich „nur“ 15 Megatonnen Sprengkraft. Damit wurde sie von der am 30. Oktober 1961 gezündeten sowjetischen AN602 überboten. Diese sogenannte „Zar-Bombe“ brachte es auf rund 57 Megatonnen.