© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/22 / 28. Oktober 2022

Die Zwillingstürme im Visier
Cum-Ex-Steuerskandal: Nach bald zehn Jahren Ermittlungen jetzt auch Razzia bei der Deutschen Bank
Martin Krüger

Staatsanwaltliche Ermittler haben erneut die Frankfurter Doppeltürme der Deutschen Bank durchsucht. Nach Vorwürfen mutmaßlicher Geldwäsche und des angeblichen „Greenwashings“ von Investmentfonds (JF 24/22) ging es vorige Woche um die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte, bei denen der Fiskus zwischen 2001 und 2012 um schätzungsweise zehn Milliarden Euro geprellt worden ist. Denn sowohl der Bundesgerichtshof, der Bundesfinanzhof wie auch das Bundesverfassungsgericht haben dieses „Geschäftsmodell“, bei dem sich Finanzmarktakteure eine Steuer auf Kapitalerträge erstatten ließen, die niemand gezahlt hatte, inzwischen als illegal und strafbar eingestuft.

Die Hamburger Warburg-Bank gibt sich auffällig demütig

Sogar die Privatadressen von zehn Topbankern blieben diesmal nicht verschont, darunter auch die Privatwohnung des 74jährigen Ex-Co-Vorstands Jürgen Fitschen. Im Zentrum der Ermittlungen steht aber der Steueranwalt Hanno Berger, den die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt als „Spiritus rector“ der Cum-Ex-Geschäfte in Deutschland bezeichnet. Der 71jährige war bis 1996 beamteter Steuer-Bankprüfer in Hessen, bevor er seine Erfahrungen lieber mit deutschen und amerikanischen Steuerkanzleien teilte. Berger steht daher derzeit in Bonn und Wiesbaden sogar gleich vor zwei Richtern.

In der Hansestadt Hamburg stehen das renommierte Privatbankhaus M. M. Warburg & Co. und deren Ex-Chef Christian Olearius im Zentrum der laufenden Ermittlungen. Ein Prozeß liegt auch hier in der Luft, obwohl Warburg-Vertreter beteuern, 155 Millionen Euro „für Großunternehmen in Hamburg“ für Aktiengeschäfte der Jahre 2007 bis 2011 an das Finanzamt gezahlt zu haben: „Die vom Landgericht Bonn im März 2020 angeordnete Einziehung der Steuern ist damit erledigt. Die Warburg-Gruppe hat allein den gesamten Steuerbetrag gezahlt, obwohl Dritte die Geschäfte initiierten, abwickelten und große Profite erzielten.“

Und auch hier spielt die Deutsche Bank eine Rolle, denn sie fungierte angeblich als Depotbank. Warburgs Standpunkt lautet: Die Großbank hätte sicherstellen müssen, daß die Kapitalertragsteuer abgeführt wird. Die Deutsche Bank habe sehr wohl gewußt, daß die „Profite“ aus der Steuerkasse stammen. Und sie fungierte auch als „Prime Broker“ und Fremdkapitalgeber bei den Cum-Ex-Deals. Und Fitschen steht dabei im Verdacht, selbst falsche Steuererklärungen unterzeichnet zu haben, nachdem zuvor seine Investmentbanker diese „Deals“ initiiert hatten – und das sogar unter Einbeziehung der hauseigenen Geschäftsbereiche Steuern und Recht.

Weitere Dienstleistungen sollen hinzugekommen sein: etwa Leerverkäufe, bei denen Aktien veräußert werden, die gar nicht im Bestand sind, „Hedging Deals“ als Absicherungsgeschäfte gegen Kursrisiken und eben die Depotbankfunktionen. Durch die Leerverkäufe wurde den Finanzämtern suggeriert, daß eine Aktie zwei Aktionären zuzurechnen ist. Dazu kommt, daß das Eigenkapital um Fremdkapital erweitert wurde. Das Ganze bis hin zum Faktor 20, was die Geschäfte umfangreicher und damit noch profitabler gestaltete. Durch Derivate wurden Aktienkursrisiken abgesichert, was wesentlich zur Berechenbarkeit und zum Gelingen der Cum-Ex-Geschäfte beitrug. Vor allem aber stellten die Depotbanken die entscheidenden Steuerbescheinigungen aus, die dann die Finanzämter zur doppelten Steuererstattung veranlaßt hatten.

Die Warburg-Banker bestreiten die prinzipielle Vorgehensweise nicht: „Cum-Ex-Transaktionen sind Aktiengeschäfte, bei denen Aktien vor oder am Dividendenstichtag mit Dividendenanspruch (cum) gekauft, jedoch erst nach dem Stichtag ohne Dividende (ex) geliefert werden.“ Aber „solche über den Dividendenstichtag durchgeführte Transaktionen waren für sich genommen rechtlich unkritisch. Mißbräuchlich waren Cum-Ex-Transaktionen, wenn sie so gestaltet wurden, daß Kapitalertragsteuererstattungen ohne entsprechende Steuerabführungen erfolgten“ – sprich: Der Schwarze Peter liege eigentlich in Frankfurt, nicht in Hamburg. Und die Politik – von Hamburg bis Berlin – habe jahrelang untätig zugesehen.

Aber aus den Zwillingstürmen heißt es nur: „Wie bereits seit Beginn der Ermittlungen 2017 kooperiert die Bank weiterhin vollumfänglich mit der ermittelnden Behörde.“ Es bleibt also spannend, denn derzeit laufen mehr als 100 Verfahren gegen etwa 1.600 Beschuldigte. Und die bereits abgeschlossenen drei Verfahren endeten alle mit Schuldsprüchen. Die Hamburger geben sich daher schon vorsorglich demütig: „Die steuerliche Beurteilung der Cum-Ex-Geschäfte durch die Warburg-Gruppe hat sich als falsch erwiesen. Die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands von M. M. Warburg & Co mißbilligen unrechtmäßige Steuergestaltungen jeder Art.“


Stellungnahme der Warburg-Bank zu Cum-Ex: mmwarburg.de