© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/22 / 21. Oktober 2022

Das böse Erwachen kommt
Gaspreisbremse: Nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein / Rettung mit Vernunft?
Stefan Kofner

Die von der Gas-Wärme-Kommission vorgeschlagene „Gaspreisbremse“ ist der Kern des schuldenfinanzierten 200 Milliarden Euro schweren „Doppelwumms“ der Bundesregierung. Die kurzfristigen Energiepreissubventionen entsprechen 44 Prozent des Bundeshaushalts für 2022. Die bereits getroffenen Maßnahmen gegen die steil angestiegenen Energiepreise – Aussetzung der EEG-Umlage, Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf Erdgas, die Wohngeldreform mit Heizkostenzuschuß I und II sowie die Energiepauschale – sind dagegen bloß Peanuts. Vorgesehen ist ein zweistufiges Modell zur Entlastung von Gas- und Fernwärmekunden.

Die erste Stufe („Winterbrücke“) sieht vor, daß der Staat für Privatpersonen und Kleinbetriebe (Bäckereien, Einzelhändler) einmalig die Heizkostenvorauszahlungen im Dezember übernimmt: Die Versorger sollen auf die im Dezember fällige Abschlagszahlung verzichten und erhalten das Geld anschließend erstattet. Mieter erhalten eine Gutschrift auf ihr Betriebskostenkonto. Den beachtlichen administrativen Aufwand haben die Versorgungsunternehmen und die Vermieter zu tragen.

2021 begann der Kostenanstieg in wahrhaft sphärische Höhen

In der zweiten Stufe soll im Zeitraum vom 1. März 2023 bis 30. April 2024 eine Grundbezugsmenge an Gas (80 Prozent des Verbrauchs, der der Abschlagszahlung im September 2022 zugrunde gelegt wurde) auf einen Preis von zwölf Cent pro Kilowattstunde (kWh) heruntersubventioniert werden. Für Verbräuche oberhalb dieses Grundkontingents gilt der volle Marktpreis. Der erhaltene Rabatt soll als geldwerter Vorteil „mit möglichst hohen Freibeträgen“ versteuert werden. Für die Großindustrie (rund 25.000 Betriebe) gibt es keine Dezemberzahlung. Dafür setzt für sie die Preisbremse bereits zum 1. Januar ein.

Für viele kommen diese Entlastungen zu spät, denn die Gaspreise sind bereits seit Oktober 2021 steil angestiegen: Laut den Daten des Vergleichsportals Verivox kostet eine kWh Gas derzeit für Neukunden im Mittel schon 28,3 Cent. Vor einem Jahr lag der Gaspreis nur bei 6,8 Cent, im Dezember bei 11,3 Cent. Der Anstieg in wahrhaft sphärische Höhen bis zu 40 Cent setzte allerdings erst nach dem 20. Juni ein. Seit Anfang September sind die Preise jedoch wieder rückläufig, laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) waren es unter Berrücksichtigung der Altverträge für Privathaushalte im Schnitt „nur“ 15,29 Cent. Die individuelle Belastung hängt von verschiedenen Faktoren, nicht zuletzt aber von der jeweiligen vertraglichen Situation ab. Insofern ist die vorgesehene Einmalzahlung alles andere als treffsicher.

Vor allem aber kompensiert sie die bereits eingetretenen Belastungen nicht: Die zweite Stufe der Gaspreisbremse greift erst ab 1. März. Das bedeutet, daß für einen Zeitraum von 17 Monaten, der zwei Winter mit hohen Gaspreisen umfaßt, die Dezember-Einmalzahlung die einzige Kompensation bildet. Das ist in vielen Fällen nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein: Wenn sich etwa der Abschlag für ein Reihenhäuschen im Januar von 200 auf 600 Euro verdreifacht hat, dann ist der betreffende Haushalt bis Ende Februar 2023 mit 5.600 Euro zusätzlich belastet, wovon ihm nur 600 Euro (rund zehn Prozent) erlassen werden.

Bei den Mietern sind die gerade angepaßten Vorauszahlungen in den meisten Fällen noch viel zu niedrig, weil sich die Gaspreissteigerungen im Abrechnungsjahr 2021 noch nicht wesentlich niedergeschlagen haben. Das böse Erwachen kommt im nächsten Jahr in Form von gewaltigen Nachzahlungen für 2022, die viele Mieter finanziell überfordern werden. Das ausgeklügelte Kommissionsmodell ändert daran nichts. Auf der anderen Seite bringen die Vermieter die Mehrkosten für die im Verlauf dieses Jahres steil angestiegenen Brennstoffkosten zunächst zu Lasten ihrer Liquidität und Investitionsfähigkeit allein auf. Die Kommission will ihnen in Härtefällen mit zinslosen Liquiditätshilfen über die Zeit helfen.

Die Verteilungswirkungen der Gaspreisbremse sind trotz der Besteuerung des Rabatts als geldwerter Vorteil eindeutig regressiv, denn die Bemessungsgrundlage ist der aktuelle Verbrauch. Je größer und je weniger energieeffizient die Wohnung oder die Gewerbefläche, desto höher fällt der Rabatt aus. Die Argumentation für eine Ex-post-Versicherung (Rudi Bachmann; University of Notre Dame/Indiana) ist zwar bis weit in die Mittelschicht hinein nachvollziehbar, aber eben nicht darüber hinaus. Wir dürfen mitten in einem Wirtschaftskrieg nicht 80 Prozent des Heizenergieverbrauchs der Millionärsvilla oder des Penthouse einschließlich Sauna, Pool und Wintergarten subventionieren.

Auf der anderen Seite ist die Entlastung für Haushalte mit geringen Einkommen nicht ausreichend. Wer keinen Spielraum im Budget und keine Ersparnisse (mehr) hat und von steigenden Lebenshaltungskosten hart betroffen ist, der kann sich eine Verdoppelung der Vorauszahlung auf die Heizkosten oder eine vierstellige Nachzahlung einfach nicht erlauben. Die betroffenen Menschen müssen dann frieren oder Schulden anhäufen.

Keine praktikablen Alternativen für Industrie und Kleingewerbe

Davon abgesehen belohnt die Gaspreisbremse die Energieverschwendung nach dem Motto, wer vernünftig geheizt oder sein Eigenheim energetisch modernisiert hat, ist eben der Dumme. Im Unternehmenssektor wird der Wettbewerb verzerrt. Eigenverantwortung und Resilienz von Privathaushalten und Unternehmen dürfen nicht völlig aus dem Blick geraten. Außerdem braucht es sowohl eine gewisse Einkommensabhängigkeit als auch eine stärkere Pauschalierung der Entlastungen.

Zu den Kommissionsplänen für Industrie und Kleingewerbe gibt es keine praktikablen Alternativen. Es wäre zu aufwendig, die Verbrauchsmengen nach Branchen zu pauschalieren. Aber die Idee der Kostenneutralität bei 20 Prozent Einsparung treibt die Subventionskosten. Hier muß abgerüstet werden, vielleicht indem man nur zwei Drittel des derzeitigen Verbrauchs subventioniert.

Für die wohngebundenen Energiekosten sollte nach einer anderen Lösung – vielleicht innerhalb des Wohngeldsystems – gesucht werden, die bedürftige Haushalte bis weit in die Mittelschicht hinein zielgenau entlastet. Davon abgesehen ist es jetzt wichtig, den Mietern die Vorauszahlungen sofort an die aktuell von den Vermietern verauslagten Beschaffungspreise anzupassen. Sie würden mit ausreichenden Vorauszahlungen besser dastehen als mit einer unberechenbaren Nachzahlung und die Vermieter bräuchten nicht mehr vorzufinanzieren..

Erdgaspreisentwicklung bis September 2022: www.bdew.de