© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/22 / 12. August 2022

Trivialliteratur – Stiefkind der Germanistik
Elitär und ignorant
(dg)

Zu den auffälligsten „Leerstellen germanistischer Diskurse“ zählt der emeritierte Literaturwissenschaftler Helmut Schmiedt (Universität Koblenz-Landau) die „gewaltigen Forschungslücken“ bei der Aufarbeitung von „Trivialliteratur“. Für den Karl-May-Experten, der 2007 mit „Dr. Mabuse, Winnetou & Co.“ ein Standardwerk über „Klassiker der deutschen Unterhaltungsliteratur“ vorlegte, stellen sich seine  Fachgenossen selbst ein „Armutszeugnis“ aus, wenn sie der Devise folgen „Kitsch ist Verrat an der Kunst“ (Hermann Broch). Es habe zwar im Zenit  der Simmel- und Konsalik-Rezeption in den 1960ern und 1970ern, als die „Bestseller“ dieser Vielschreiber Millionen von Lesern erreichten, einige Spezialstudien dazu gegeben. Aber wer heute in diesem „Untergeschoß der Literaturgeschichtsschreibung“ bibliographiere, der finde – „fast nichts“. Nicht anders sehe es beim „Trivialtheater“ für die Massenunterhaltung aus. Obwohl auf deutschen Bühnen in den Spielzeiten zwischen 1879 und 1930 mindestens 1.250 abendfüllende Schwänke ur- oder erstaufgeführt wurden, die für das kulturelle Leben unzähliger Menschen eine herausragende Rolle spielten, stammt die letzte Dissertation über dieses Genre aus dem fernen Jahr 1969. Jüngstes Beispiel für solche ebenso elitäre wie ignorante Haltung gegenüber Populärliteratur liefere eine an sich verdienstvolle Arbeit („Jemand muß K. verleumdet haben …“, München 2020) seines Kollegen Peter André Alt (FU Berlin), das über die „ungeheure Wichtigkeit von ersten Sätzen in der Weltliteratur“ handle, aber ausschließlich Werke der Hochliteratur berücksichtige (Wirkendes Wort, 1/2022). 

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