© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/22 / 17. Juni 2022

Schriller, bunter und plüschiger
K-Pop ist Koreas neuer Exportschlager, der auch in Deutschland angekommen ist
Eric Steinberg

Erinnern sie sich noch an den Gewinner der vergangenen Staffel „Deutschland sucht den Superstar“? Wenn die Antwort „Nein“ lautet, ist das nicht ungewöhnlich. Teilnehmer von Talentshows geraten meist innerhalb von wenigen Wochen in Vergessenheit. In Ausnahmefällen können sie aber auch die Welt verändern. 

Als das südkoreanische Trio „Seo Taiji and Boys“ im Jahr 1992 erstmalig die Bühne einer südkoreanischen Show betrat, war die Eroberung der Musikbranche besiegelt. Doch das galt nicht für die Band selbst, sie löste sich nur vier Jahre später auf, sondern für das Genre, das sie vertraten. Mit einer Mischung aus Tanzeinlagen, Rock- und Popmusik sowie Rap-Einflüssen ließen sich in dem vom Krieg gezeichneten Staat die Massen begeistern.

K-Pop war geboren. Das ist die Abkürzung für „Korean Popular Music“ und hat mittlerweile weltweiten Erfolg, besonders in Asien, Nordamerika und Europa. Dabei ist die Musik nicht außergewöhnlich: Sie verbindet Einflüsse verschiedener Richtungen, vor allem des Pop. Könnten die meisten Songs instrumental auch aus den Studios westlicher Künstler stammen, haben sie im Gegensatz zu Ed Sheeran & Co. ein verbindendes Alleinstellungsmerkmal: Gesungen wird auf Koreanisch und in Boybands und Girl Groups. Ergänzt wird das Konzept durch eine schrille Außendarstellung. 

Die aufwendig produzierten Musikvideos strotzen nur so vor bunten Farben, perfekt einstudierten Tanzchoreographien und guter Laune. Und das generiert Erfolg: Das Video zum Song „Butter“ der aktuell erfolgreichsten K-Pop Boygroup BTS wurde 2020 innerhalb von 24 Stunden nach Veröffentlichung satte 108 Millionen Mal geklickt, ein neuer Rekord auf Youtube. Ecken und Kanten lassen sich nicht finden. Von der makellosen Haut, über Körpergewicht bis hin zur Stimme scheint alles perfekt. 

Auch textlich hält sich das Genre gerne in seichten Fahrwassern auf. Mit der Redewendung „Friede, Freude, Eierkuchen“ lassen sich die lyrischen Werke der Bands am besten beschreiben, kritische Textzeilen haben in den Songs echten Seltenheitswert. 

Das Gesamtwerk ist austauschbar. Künstler, die anecken und in der Branche polarisieren, werden nicht geduldet. Es geht nicht um den Geist der Musik, den hörbaren Schweiß, der in den Studios geflossen ist, sondern schlicht um das fertige Produkt. Und dennoch verbreitete sich das Genre in den vergangenen zehn Jahren weltweit. 

Shops wie die Seoulstation lassen die Herzen höher schlagen

Populär wurde es außerhalb von Korea vor allem durch den Titel „Gangnam Style“ des Künstlers Psy. Mit seinem extravaganten Tanzstil eroberte der 44jährige Sänger die Charts westlicher Länder und ebnete damit den Weg für die aktuelle Generation der K-Pop Bands. Allen voran die bereits erwähnten BTS entwickelten sich zum Erfolgsgaranten. Bisher ergatterten die sieben Musiker neun Billboard Music Awards, sechs American Music Awards und halten 23 Guinness-Weltrekorde im Bereich Musik und soziale Medien, unter anderem für die meisten Streams einer Band auf Spotify. 

Auch in Deutschland ist die K-Pop-Welle längst angekommen. Im Frankfurter Waldstadion fand Mitte Mai zudem Europas erstes K-Pop-Festival statt. 70.000 Fans strömten in die hessische Metropole, um ihre Idole live auf der Bühne zu erleben. Insgesamt zehn verschiedene Acts betraten an den zwei Festivaltagen die Bühne und sorgten davor für lautes Kreischen. 

Die Massen erinnerten ein wenig an den Tokio-Hotel-Hype der ersten Jahre. Lediglich die Outfits sind deutlich bunter, und die Fans stammen aus ganz Europa. Auch deshalb gibt es 2023 eine Wiederholung: Tickets für die zweitägige Veranstaltung sind jetzt bereits im Internet verfügbar. Bis dahin können sich die Anhänger auch hierzulande mit allerlei Fanartikeln versorgen. In Shops wie der Seoulstation in der Berliner Kantstraße gibt es alles, was das K-Pop-Herz begehrt: CDs, Plüschtiere, Sammelkarten oder auch Puzzle, die die Gesichter der Stars zieren. In Geschäften wie dem J-Store Berlin wird diese Produktpalette zudem noch durch Mangahefte oder Cosplay-Produkte ergänzt. Die Hauptsache: Es muß schrill sein. Das zieht und bringt Dutzende dazu, an einem Sonntag Anfang Mai vor der Seoulstation anzustehen, um in den Shop zu kommen.  

Bis die einzelnen Musiker allerdings überhaupt die Möglichkeit bekommen, auf den unzähligen Artikeln zu landen, ist es ein langer und beschwerlicher Weg. In der hochkommerzialisierten K-Pop-Industrie müssen sie zuerst ein jahreslanges Ausbildungsprogramm durchlaufen, das sie obendrein auch noch selbst finanzieren müssen. Erst dann werden sie zu den entscheidenden Castings eingeladen, die ihnen zu Weltruhm verhelfen können. Daß es nur die wenigstens schaffen, steht dabei außer Frage. 

Doch nicht nur die Ausgesiebten sind gesichtslos, sondern auch die erfolgreichen Künstler. Ständig können sie ersetzt werden, produziert die koreanische Musikindustrie doch neue potentielle Stars am laufenden Band.

Aktuell wächst die Community immer weiter, während gleichzeitig neue Bands wie Pilze aus dem Boden schießen. Ein Ende der koreanischen Erfolgsgeschichte ist nicht in Sicht.

Foto: Besucher tanzen während des K-Pop-Mega-Festivals „KPOP.FLEX“ in Frankfurt am Main: Eine grelle Außendarstellung ist Voraussetzung