© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/22 / 20. Mai 2022

Wahrhaft radikale Kunst bereitet den Umsturz vor
Hüter des revolutionären Feuers
(wm)

Permanenter ästhetischer Umsturz – das ist die Aufgabe der Kunst.“ Als der deutsch-amerikanische Philosoph und 68er-Guru Herbert Marcuse diese Maxime ausgab, spielte der 1966 geborene österreichische Publizist Robert Misik noch in der Sandkiste. Während er aufwuchs, verflüchtigte sich dieses linke Sendungsbewußtsein zwar, es ist heute aber in der ansonsten zeitgeistfrommen Kunst- und Literaturszene noch als Stimmung und Dekor präsent. In diesem Resonanzraum hütet Misik, als Pubertierender in einer marxistischen Sekte sozialisiert, das Feuer der Revolution und trägt es in alle dem etwas automatenhaft wirkenden Vielschreiber verfügbaren Medien des großdeutschen Sprachraums, vom Falter bis zur taz, von Junge Welt bis Zeit. Die in seinem jüngsten Essay gestellte Frage, „Lebt sie noch, die Avantgarde?“ (Hohe Luft, 4/2022) ist daher rein rhetorisch. Wie aus der Zeit gefallen fordert Misik unverdrossen, die Kunst der Moderne müsse „radikal“ und „Schrittmacherin des Fortschritts“ sein, den er, nicht irritiert von 200 Jahren Fortschrittskritik, weiterhin als heilige Kuh anbetet. Leider habe „die Politik“ seit 1968, und erst recht im Vergleich mit den 1920ern, als neue Bildsprachen und Schreibweisen, Kubismus und Bauhaus haussierten, ihren „utopischen Überschuß“ verloren. Was aber Künstler nicht entmutigen sollte, gesellschaftliche Zustände „couragiert“ zu attackieren. Dem weitgehend staatlich alimentierten Kulturbetrieb und seinen medialen Vermittlern traut Misik darum allen Ernstes zu, „schonungslose“, alte Weltbilder zerbrechende, den Umsturz anbahnende  „Beschreibungen der Wirklichkeit“ liefern zu können. 


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