© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/22 / 13. Mai 2022

Pekings Plan ist aufgegangen
Reportage von den Philippinen: Die Wahl von Diktatoren-Sohn Marcos zum Präsidenten des Inselstaates spielt auch China in die Hände
Hinrich Rohbohm

Stolz hält Jorrel zwei Fische in den Händen und reckt sie in die Höhe. „Hier kann ich ja noch welche fangen, ohne vertrieben zu werden“, scherzt er. Dabei ist ihm eigentlich nicht zum Scherzen zumute. Denn wo er einst gemeinsam mit seinem Bruder fetten Fang erzielte, kann er heute seinem Beruf nicht mehr nachgehen. „Wir fischten in der Nähe des Scarborough-Riffes“, beginnt er zu erzählen. Ein im Südchinesischen Meer gelegenes Atoll, 250 Kilometer westlich der philippinischen Hauptinsel Luzon. Der Ertrag sei gut gewesen. Zumindest reichte es, um den Fischerfamilien die Existenz zu sichern. Zehn Jahre ist es her, daß sich Jorrels Welt schlagartig verändern sollte. „Chinesische Fangschiffe wilderten in unseren Gewässern.“ Ein philippinisches Patrouillenboot griff ein, wollte die chinesischen Fischer festnehmen. Was wiederum ein Kriegsschiff der Volksrepublik China auf den Plan rief. Die Situation eskalierte. Seit diesem Vorfall beansprucht China das Scarborough-Riff für sich.

Jorrel und andere philippinischenFischer mußten weichen, suchten sich neue Fanggebiete im fischreichen Südchinesischen Meer. „Doch es dauerte meist nicht lang, bis wir erneut attackiert wurden.“ Jahrelang sei das so gegangen. Bis Jorrel und sein Bruder vor drei Jahren aufgaben. „Das machte keinen Sinn mehr. Wer dort fischt, riskiert von chinesischen Schiffen angegriffen oder festgenommen zu werden“, sagt Jorrel. „Sie schießen mit Wasserkanonen und attackieren uns mit Hubschraubern.“ Und das längst nicht nur am Scarborough-Riff. Dabei hatte der Ständige Schiedshof in Den Haag 2016 den Philippinen weitestgehend recht gegeben und die meisten der zwischen beiden Staaten umstrittenen Gebiete des Südchinesischen Meeres zur ausschließlichen Wirtschaftszone der Philippinen erklärt. Genützt hatte es wenig. China erkennt das Urteil nicht an.

Zwölf Prozent des Fischfangs stammt aus Südchinesischem Meer

Zwölf Prozent des weltweiten Fischfanges kommen aus dem Südchinesischen Meer. Doch in dem Gewässer geht es längst nicht allein um Fisch. Für die Supermächte USA und China kommt der Region eine enorme geostrategische Bedeutung zu. Ein Drittel des Welthandels verläuft durch dieses Gebiet, Waren im Wert von jährlich 3,5 Billionen Dollar. Hinzu kommen reichhaltige Öl- und Gasvorkommen. Die Kontrolle der in den Gewässern befindlichen Spratly-Inseln, der Paracel-Inseln sowie des Scarborough-Riffs würde für China auch eine sichere Passage für seine Südmeerflotte in den Pazifik bedeuten. „Wir beobachten, daß die Volksrepublik ihre Marinebasis in Sanya seit Jahren massiv ausbaut“, schildert der JF ein Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der philippinischen Streitkräfte (ISAFP). Vor allem für amphibische Angriffsschiffe, Flugzeugträger und U-Boote der Jin-Klasse, die mit Interkontinentalraketen bestückt werden können. Große Teile des Hafens seien unterirdisch angelegt, um feindlicher Satellitenaufklärung zu entgehen.

„Kontrolliert die Volksrepublik das Südchinesiche Meer, könnten ihre Atom-U-Boote ungehindert in den Pazifik auslaufen.“ Schon seit längerem versucht China, seinen Einfluß auf die Pazifik-Staaten auszuweiten. Erst kürzlich vereinbarte das Reich der Mitte eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit dem Inselstaat der Salomonen, der auch die Möglichkeit einer Stationierung von Militär nicht ausschließt.

Zahlreiche der Inseln im Südchinesischen Meer hat China bereits okkupiert und zu Militärstützpunkten ausgebaut. „Es wurden Landepisten für Flugzeuge und Raketensilos errichtet“, sagt der ISAFP-Mann. Eigentlich sei das nichts anderes als das, was Rußland derzeit in der Ukraine betreibe. Nur mit dem Unterschied, daß die meisten der Inseln im Südchinesischen Meer unbewohnt seien und die westliche Welt weniger Notiz davon nehme.

Neben China und den Philippinen erheben auch Taiwan, Vietnam, Malaysia und das Sultanat Brunei Gebietsansprüche auf Inseln in diesen wichtigen Gewässern. Immer wieder kommt es in der Region zu Militärmanövern, sowohl der Chinesen als auch der US-Streitkräfte, die jährlich gemeinsam mit den Philippinen das Balikatan-Manöver abhalten.

Hinzu kommt der sich zusehends verschärfende Konflikt zwischen China und Taiwan. Immer unverhohlener erklingt die Rhetorik aus Peking, den Staat zu annektieren. Regelmäßig dringen chinesische Kampfflugzeuge in taiwanischen Luftraum ein. Die dortige Regierung ist bemüht, sich nicht provozieren zu lassen und weiß zudem die USA als Schutzmacht hinter sich.

Doch weil der Westen derzeit mit dem Ukraine-Krieg beschäftigt ist, testet die Volksrepublik ihre Möglichkeiten in der Region Schritt für Schritt weiter aus. Ende vergangenen Jahres hatte China einen Außenposten des philippinischen Militärs von der Versorgung abgeschnitten und dessen Schiffe blockiert. Wenige Wochen später drang ein mit Drohnen bestücktes Spionageschiff der chinesischen Marine sogar bis in philippinische Binnengewässer vor, kreuzte zwei Tage lang bis vor die zur Visayas-Gruppe gehörende Insel Panay. Aufforderungen philippinischer Patrouillen, das Gebiet umgehend zu verlassen, wurden ignoriert.

„Im Gegensatz zu den Plänen mit Taiwan will China die Philippinen nicht annektieren, aber im Rahmen seiner Softpower-Strategie kontrollieren“, erklärt der ISAFP-Mitarbeiter. Beispielsweise würde China im Rahmen einer Art „Copy and Paste-Strategie“ auf den umstrittenen Spratly-Inseln neben Landebahnen und Garnisonen auch ein künstliches Strandresort errichten. Vorbild hierfür: die Insel Boracay, ein philippinisches Touristenmekka. „Sie wollen Menschen auf die unbewohnten Inseln bringen. Natürlich Chinesen. Und so Fakten schaffen.“ Derzeit seien hierfür intensive Landgewinnungsarbeiten auf den Spratly-Inseln im Gange.

„Wir beobachten seit einigen Monaten verstärkt Chinesen, die als Arbeiter kommen und merkwürdige Vermessungen vornehmen“, erzählen Bootsbetreiber an der Küste von Panay, die von dort aus Touristen, Taucher und Arbeiter auf die knapp einen Kilometer entfernte vorgelagerte Insel bringen.

Vor vier Jahren hatte der philippinische Präsident Rodrigo Duterte Boracay kurzerhand für ein halbes Jahr schließen lassen (JF 22/18) – ein Schritt, der Einheimische wie Geschäftsleute vollkommen unvorbereitet traf. Als Begründung diente der Umweltschutz. Insider vermuteten jedoch schon damals, daß chinesische Investoren ein Auge auf die einnahmeträchtige Insel geworfen hätten. Viele Geschäftsleute hatten ihren Betrieb aufgeben müssen. Aussagen des Bürgermeisters von Malay zufolge hätte sich nach Wiedereröffnung der Insel der Anteil chinesischer Einrichtungen auf dem Eiland um satte 30 Prozent erhöht.

Seit seinem Amtsantritt im Jahre 2016 galt Duterte als enger Gefolgsmann Chinas, der den geostrategischen Interessen der Volksrepublik weit entgegenkam und sich auch für bessere Beziehungen zu Rußland stark machte. Gleichzeitig verschlechterten sich unter seiner Präsidentschaft die Beziehungen zu den USA zusehends. Daß sich diese Entwicklung mit dem jetzt neu gewählten Präsidenten Ferdinand Marcos junior ändern wird, ist kaum zu erwarten. Mit über 60 Prozent Zustimmung setzte sich der meist im Volk nur „Bongbong“ Genannte gegen die eher westlich orientierte Gegenkandidatin Leni Robedo durch. „In der Außenpolitik unterstützen wir voll und ganz den Kurs von Duterte“, versichern die Anhänger von „Bongbong“ Marcos der JF am Rande einer Wahlveranstaltung in Manila immer wieder.

Die Wahl gilt auch aufgrund der geostrategischen Situation als eine der bedeutendsten der letzten 50 Jahre. Denn Marcos junior ist der Sohn des einstigen Diktators Ferdinand Marcos. Der stand damals trotz brutaler Herrschaft treu an der Seite der USA. Seine Frau jedoch, die mittlerweile 92 Jahre alte Imelda Marcos, pflegt intensive Kontakte nach China. Für die Präsidentenwahl schmiedeten der Marcos- und der Duterte-Clan ein Bündnis. Der Marcos-Sohn sollte Präsident, Dutertes Tochter Sara Vizepräsidentin werden. Die Rechnung ist aufgegangen. Auch für Peking.

Fotos: Philippinische Touristen-Insel Boracay: China baut auf den Spratly-Inseln ein künstliches Strandresort, um Pflöcke einzuschlagen; JF-Reporter Hinrich Rohbohm: In Manila und Panay im Einsatz; Fischer Jorrel: „Chinesische Fangschiffe wilderten in unseren Gewässern“