© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/22 / 06. Mai 2022

Ländersache: Thüringen
Integrationsprojekte außer Kontrolle
Paul Leonhard

Der gemeinnützige Thüringer Sozialhilfeverein Talisa verspricht Arbeitslosen nicht nur Tips zu Wohngeld und Lastenzuschuß, sondern hat offenbar auch ganz eigene Ideen für den Umgang mit Hilfsgeldern und Mitarbeitern entwickelt. Bekanntgewordene Verdachtsfälle von Fördermittelbetrug bei Integrationsprojekten beschäftigen derzeit den Thüringer Landtag.

Die Vorwürfe scheinen so gravierend zu sein, daß selbst die Linkspartei auf vorsichtige Distanz zur in Erfurt ansässigen „Thüringer Arbeitslosen Initiative Soziale Arbeit“ (Talisa) geht. „Um vollständige Transparenz zu schaffen, sollte der zuständige Fachausschuß für Migration, Justiz und Verbraucherschutz die Thematik im Rahmen eines Selbstbefassungsantrags behandeln“, schlagen Patrick Beier und Lena Saniye Güngör von der Linksfraktion im Thüringer Landtag vor. 

Offenbar will die Linke verhindern, daß Landtag und Ermittlungsbehörden bei der Finanzierung von Integrationsprojekten im Freistaat genauer hinsehen. Tatsächlich fordert CDU-Sozialpolitikerin Beate Meißner bereits eine „Verwendungsnachweisprüfung für die Integrationsförderung insgesamt“, sollte sich der Verdacht auf Fördermittelbetrug bestätigen. 

Aufklärungsbedarf sieht Meißner auch beim Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Dort sollen „Zuwendungen im Bereich der Integrationsförderung ohne entsprechende Förderrichtlinie und ohne ausreichende Prüfung eines Zusammenhangs mit dem Zuwendungszweck ausgereicht“ worden sein, wie der Thüringer Rechnungshof immer wieder bemängelte. Derzeit prüft das Landesverwaltungsamt nach mehreren Beiträgen des Mitteldeutschen Rundfunks sowie Aussagen von ehemaligen Vereinsmitgliedern, ob geförderte Projekte im Wert von einer Million Euro nur auf dem Papier existiert haben. Es laufe eine Tiefenprüfung, bestätigt Verwaltungsamtspräsident Frank Roßner.

Die Frage dabei: Hat es nur im Falle der Talisa-Regionalstelle Sömmerda, wo der Verein seit Sommer 2017 für Flüchtlingsprojekte mehr als 162.000 Euro Steuermittel einkassierte, mögliche Ungereimtheiten gegeben oder auch thüringenweit. Zur Zeit studieren die Mitarbeiter des Landesverwaltungsamtes beschlagnahmte Akten.

Bei einem weiteren Vorwurf kommt die Linkspartei selbst mit ins Spiel. Die Talisa-Regionalstellenleiterin – politisch aktiv im Landesvorstand der Linken – soll Vereinsmitarbeiter aufgefordert haben, einen Teil ihres vom Jobcenter gezahlten Gehalts an den Verein abzugeben, wo er als „Spende“ verbucht wurde. Mehrere Betroffene hätten das gegenüber dem MDR Thüringen bestätigt. Der Verein selbst bestreitet diese Vorwürfe: „Es wurde zu keiner Zeit und von keinem Mitarbeiter der Talisa e.V. der Eigenanteil zum Gehalt selbst gezahlt oder von einem Leiter abgefordert.“ Lediglich im August 2021 hätten zwei Kolleginnen „einmalig und freiwillig“ eine Spende in Höhe von jeweils 80 Euro gezahlt und dafür eine Spendenquittung erhalten. Auf seiner Internetseite räumt der Verein übrigens freimütig ein, was er nicht kann: Rechtsberatung geben, Arbeit vermitteln, Geld vermitteln.