© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Ist die Wehrpflicht aus ökonomischer Perspektive Unsinn?
Weltfremd und friedensbewegt
Ulrich van Suntum

Seit dem Ukraine-Schock steht die Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht wieder zur Diskussion. Diese sei jedoch ineffizient und teuer, schreiben die Ökonomen Hanno Beck und Aloys Prinz in der Zeitschrift Wirtschaftsdienst (4/22). Moderne Kriegsführung erfordere „professionelles und hochmotiviertes Personal statt widerwillig eingezogener Handwerker:innen, Studierender und Philosoph:innen“, führen die Autoren in schönstem Gender-Deutsch aus. Außerdem könnten junge Leute in der Wirtschaft effizienter eingesetzt werden als für Hilfsdienste in der Armee oder auch in der Pflege.

Solche Argumente sind bezeichnend für Gesellschaften, die 75 Jahre lang nur Frieden und Wohlstand kannten. In Ländern mit aggressiven Nachbarn denkt man anders. So müssen in Israel selbst Frauen ab 18 Jahren zwei Jahre Militärdienst leisten, Männer sogar drei. Niemand findet das dort unproduktiv angesichts der ständigen Bedrohung. Die jungen Leute tragen vielmehr stolz ihre Uniform. In Finnland sind alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren wehrpflichtig, zudem finden regelmäßig Reserveübungen statt. Auch dort ist der Dienst hoch angesehen und wird als absolut notwendig betrachtet angesichts der 1.300 Kilometer langen Grenze zu Rußland, das den Nachbarn einst beherrschte.

Auch ökonomisch können Beck und Prinz nicht überzeugen. In der Ukraine hat sich ja gezeigt, daß scheinbar wenig produktive Hilfsdienste – etwa in der Logistik, die auf russischer Seite immer knapp bemessen und Hauptziel der Ukrainer war – sogar kriegsentscheidend sein können. Auch die Vorstellung eines High-Tech-Krieges, der hauptsächlich vom Computer aus geführt wird, wurde dort auf grausame Weise widerlegt. Es geht vielmehr noch immer um sehr viel schmutziges und gefährliches Handwerk in Schützengräben wie vor hundert Jahren. Nicht zuletzt werden auch für die Sicherung und Versorgung von Verwundeten und den Schutz der Zivilisten Zehntausende von engagierten und erfahrenen Händen gebraucht.

Da ist es von unschätzbarem Wert, wenn jeder im Ernstfall sofort weiß, wo sein Platz ist und wie er einen Beitrag leisten kann. Wer dies in seiner Analyse gänzlich ausblendet, argumentiert nicht ökonomisch, sondern schlicht weltfremd.