© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Wie Staat und EZB versuchen, reale Wohlstandsverluste zu kaschieren
Die Geldpolitik bleibt mutlos
Ulrich van Suntum

Die Inflationsrate in Deutschland stieg im März auf 7,3 Prozent: den höchsten Wert seit der Ölkrise im Herbst 1981. Die Großhandelspreise stiegen gar um knapp 23 Prozent: der stärkste Anstieg binnen Jahresfrist seit 1962. Die EZB tut indessen weiterhin so, als gehe sie das alles gar nichts an. Im Gegensatz zur Fed beließ sie ihre Zinsen auf Niedrigstniveau.

In der Tat sind die jüngsten Preissprünge bei Energie und anderen Rohstoffen nicht monetär verursacht. Sie resultieren vielmehr aus dem Ukraine-Krieg und coronabedingten Lieferengpässen. Auch die EZB kann daran nichts ändern. Trotzdem irrt sich die Geldpolitik, wenn sie glaubt, sie dürfe in Tatenlosigkeit verharren. Inflation ist ein sich selbst verstärkender Prozeß: Den Preissteigerungen folgen entsprechende Lohnanpassungen, die wiederum die Kosten treiben. Am Ende wird so der Geldwert zerrüttet, ohne daß man deswegen der Güterverknappung ausweichen könnte.

Ebenso falsch wären direkte Eingriffe des Staates, wie eine Deckelung der Energie- und Nahrungsmittelpreise. Auch so kann die Knappheit nicht beseitigt werden. Im Gegenteil – es käme nur zu Rationierungen, Warteschlangen, leeren Regalen und geschlossenen Tankstellen. Wir sollten froh sein, freie Preisbildung an den meisten Märkten zu haben. Hohe Preise setzen automatisch Anpassungsmechanismen in Gang: Verbraucher suchen nach Ersatzgütern und Einsparmöglichkeiten, Anbieter nach neuen Bezugsquellen, Produkten und Verfahren. Anders als viele Politiker meinen, zeigt sich damit gerade in Mangelzeiten die Überlegenheit marktwirtschaftlicher Strukturen – man schlage bei Ludwig Erhard nach.

Falsch ist auch die populäre Ansicht, Inflation träfe vor allem die Ärmsten. Auf längere Sicht sind vielmehr Preissteigerungen immer durch entsprechende Einkommenssteigerungen ausgeglichen oder sogar überkompensiert worden. So stiegen die Verbraucherpreise zwischen 1991 und 2018 zwar um knapp 59 Prozent. Aber im gleichen Zeitraum nahm das Nettoeinkommen eines durchschnittlichen Haushalts auch zu, und zwar um knapp 87 Prozent deutlich stärker. So müssen wir heute für einen Liter Milch nur noch 3 statt 4 Minuten arbeiten, und der Kauf einer Waschmaschine kostet uns nur noch 20 statt 53 Stunden Arbeitszeit.

Selbst die Hartz-IV-Sätze werden regelmäßg der Inflation angepaßt. Die einzigen, die dabei keine Kompensation für ihre Verluste erhalten, sind die Sparer. Bei der aktuellen Inflationsrate halbiert sich ihr Geldvermögen innerhalb von nur zehn Jahren, die Negativverzinsung nicht mitgerechnet. Sie sind daher diejenigen, die die Zeche für all die Milliarden zahlen, die Finanzminister Christian Lindner (FDP) derzeit aus dem Ärmel zaubert. Denn der Staat ist wiederum der größte Profiteur der Geldentwertung, da sich seine Schulden dadurch in Luft auflösen.

Trotzdem dürfen wir uns nichts vormachen: Die Zeiten steigenden Wohlstands sind in Deutschland vorerst vorbei. Denn die Kosten für Verteidigung, Energiesicherheit, Klimaschutz und Pandemiebekämpfung sind real und können auch durch noch so geschickte Umverteilung nicht hereingeholt werden. Statt sie mit Gelddrucken zu kaschieren und so auch die Währung zu zerrütten, sollte man den Bürgern die Rechnung offen vorlegen. Das würde allerdings Mut verlangen, das vielleicht knappste Gut in einer Demokratie.






Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte bis 2020 VWL an der Wilhelms-Universität Münster.