© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Und führen, wohin du nicht willst
Krisen-Kabinett: Vor der Wahl hatte Kanzler Olaf Scholz Führungsstärke beansprucht. Davon ist wenig geblieben
Paul Rosen

Pleiten, Pech und Pannen, Fahrlässigkeit und Unfähigkeit: Der deutschen Bundesregierung ist ausgerechnet in diesen national und international schwierigen Zeiten die Fortune abhanden gekommen. Knapp fünf Monate nach Beginn der Kanzlerschaft von Olaf Scholz (SPD) ist mit Anne Spiegel (Grüne) ein erstes Regierungsmitglied zurückgetreten. Weitere könnten folgen. Besonders im Feuer der Kritik stehen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD).

Dabei sollte die Post-Merkel-Ära nach den im Wahlkampf geäußerten Vorstellungen von Scholz ganz anders aussehen. Im September 2021, der Wahlkampf lief auf vollen Touren, erklärte er: „Wer die SPD wählt, bekommt mich als Bundeskanzler und ein paritätisches Kabinett mit gleich vielen Männern und Frauen, die gemeinsam eine starke Regierung bilden.“ Zwar ist die Regierung auch nach dem Ausscheiden von Familienministerin Spiegel und ihrem bevorstehenden Ersatz durch die grüne Finanzpolitikerin Lisa Paus paritätisch besetzt, aber von dem von Scholz versprochenen starken Kabinett kann keine Rede sein.

Selbst für ein starkes Kabinett wären die Probleme wie Inflation, Ukraine-Konflikt und Corona kaum zu stemmen. Lauterbach verfolgt eine Corona-Politik, die sich am besten mit dem Schleudern auf glattem Eis vergleichen läßt. Kürzlich erlitt er im Bundestag eine krachende Niederlage beim Versuch, eine Impfpflicht einzuführen.

Nur die Außenministerin scheint fester im Sattel zu sitzen

Der in Talkshows im Fernsehen zwar noch sicher auftretende, aber in der Amtsführung im Ministerium eher hilflos wirkende Lauterbach tat sich zuletzt mit einer Warnung vor einer  „absoluten Killer-Variante“ des Coronavirus hervor, die so tödlich wie die Delta-Variante sein könne. Bekannte Biologen widersprachen dem Gesundheitsminister unverzüglich. Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit erklärte, er habe diese Beschreibung für Coronavirus-Mutationen weder von der Weltgesundheitsorganisation noch von anderen Gesundheitsbehörden jemals gehört. Lauterbach steht auch in der Kritik, weil sein Ministerium erheblich mehr Impfstoffe gegen Corona beschafft hat, als überhaupt verimpft werden können. Die Impfstoffe müssen jetzt entsorgt werden. Unterdessen kündigte Lauterbach die Beschaffung weiterer Impfstoffe an.

Ein weiterer Fall ist Verteidigungsministerin Lambrecht. Sie war in der SPD immer als Lückenbüßerin zur Stelle, wenn eine Position mangels geeignetem Personal nicht besetzt werden konnte. Schon als Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium erweckte Lambrecht den Eindruck, daß sie mit der Materie nicht klarkommt. Als die damalige Justizministerin Katarina Barley ins Europaparlament wechselte, fand die SPD keinen Ersatz außer Lambrecht, die eigentlich aus der Politik ausscheiden wollte. Auch als Verteidigungsministerin gilt sie als Verlegenheitslösung, weil in der SPD niemand mehr tiefere Kenntnisse der Verteidigungspolitik hat. Ob es um Waffenlieferungen für die Ukraine, die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr oder um Auslandseinsätze geht: Lambrecht macht regelmäßig eine unglückliche Figur. Als trauriger Höhepunkt gilt ihr letzter Auftritt im afrikanischen Wüstenstaat Mali, wo sie bei einem Truppenbesuch in Stöckelschuhen zu sehen war.

Nancy Faeser (SPD) war aus der hessischen Landespolitik nach Berlin geholt worden. Priorität hat für die Innenministerin, „klare Kante“ gegen den Rechtsextremismus zu zeigen. Mit dem Linksextremismus hat sie offenbar weniger Probleme. Sie fiel mit einem Beitrag für die Zeitschrift Antifa auf. Die Zeitschrift wird von der im bayerischen Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch beeinflußt aufgeführten „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ herausgegeben. In die Kritik geriet Faeser auch wegen einer Äußerung zu Corona-Protesten: „Man kann seine Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln.“ Diese Äußerung wurde vielfach als Einschränkung des Demonstrationsrechts verstanden – und das von der für die Verfassung zuständigen Ministerin. Faeser hatte auch mit erheblicher Verspätung auf die Flüchtlingswelle aus der Ukraine reagiert. Die Probleme schienen sie völlig überrascht zu haben. Es gibt weitere Aspiranten im Kabinett, die jederzeit unter Rücktrittsdruck geraten können. So ist Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für zahlreiche Patzer bekannt, wie etwa die Äußerung, das Stromnetz sei der Speicher und für die Verwechselung von Kobalt mit Kobold. Aber insgesamt scheint Baerbock fester im Sattel sitzen, seit sie als Außenministerin zumeist von Ministeriumsbeamten vorgefertigte Erklärungen zu verlesen hat. 

Geringe oder keine Fachkompetenz könnte auch für andere Minister zum Problem werden. Dies gilt zum Beispiel für Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) und Klara Geywitz (SPD). Die völlig unbekannte Politikerin Gleywitz ist Bundesbauministerin und soll jetzt das Problem lösen, daß die deutsche Bauwirtschaft in puncto Neubauten fast vor einem kompletten Stillstand steht.

Für die Union ist der Fall klar: „Dieses Kabinett befindet sich im Abstiegskampf“, erklärte Gitta Connemann (CDU).





Ein Getriebener?

„Wer Führung bestellt, bekommt sie bei mir“, lautete einst ein legendärer Spruch von Olaf Scholz aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister. Doch nach starker Hand sieht es beim SPD-Kanzler derzeit nicht aus. Im Gegenteil. Eher wirkt Scholz wie ein Getriebener, der dem Druck aus den eigenen Reihen und dem der kleineren Koalitionspartner nachgeben muß. „Das Problem ist im Kanzleramt“, hatte der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags, der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, ungewöhnlich deutlich den Kanzler kritisiert. Die Politik der Bundesregierung werde „als zu zauderlich und zu zögerlich“ wahrgenommen. Sein Parteifreund – und Vizekanzler – Robert Habeck sah sich genötigt, Hofreiters Kritik zu widersprechen. Ende vergangener Woche sickerte indes durch, daß Scholz den Forderungen von Grünen und FDP nach Waffenlieferungen für die Ukraine zumindest ein bißchen nachgegeben hat. Die Bundesregierung stockt die sogenannte Ertüchtigungshilfe auf zwei Milliarden Euro auf. Die Regierung in Kiew kann mit dem Geld bei Verbündeten kaufen, was sie an Waffen und Material für nötig hält. 

Inzwischen erhöhte auch die Union den Druck auf den Kanzler, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Ihr Vizevorsitzender im Bundestag, Johann Wadephul, drohte an, die CDU/CSU-Fraktion werde schon kommende Woche notfalls selbst im Bundestag einen Antrag dazu einbringen, sollte die Regierung sich nicht in dieser Frage bewegen. (vo)





Üppiger Übergang

Verzweifelt hatte sich Anne Spiegel an ihr Ministeramt geklammert. Nachvollziehbar, denn die Ex-Ressortchefin fällt ins politische Nirgendwo: Sie hat kein Parteiamt, kein Abgeordnetenmandat, nichts. Immerhin finanziell ist die Landung in der harten Realität der Berliner Bundespolitik weich. Viereinhalb weitere Monatsgehälter stehen der ehemaligen Familienministerin, die Anfang Dezember ins Amt gekommen war, als Übergangsgeld zu. Macht 76.000 Euro. Nicht wenig für sehr wenig Arbeit. Denn glaubt man dem Flurfunk, herrschte im Familienministerium seit Monaten schon faktisch Stillstand. (vo)