© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Schlimmer als plündernde Heere
Am Anfang des Dreißigjährigen Krieges setzte die Münzverschlechterungspolitik der Kipper und Wipper der Bevölkerung in Deutschland zu und führte zur Massenverarmung
Werner Becker

Vor 400 Jahren kochte die deutsche Volksseele gewaltig über, wie Flugblätter aus jener Zeit belegen. Denn diese strotzen nur so vor Schmähungen wie „Beschisser“, „Ertzdiebe“, „Grundschelme“, „höllstinkende Wucherer“, „eingeteuffelte und durchgeteuffelte Geitzhälss“, „abgefaummte, abgetriebene und leichtsinnige Schandfunken“. Wonach meist die Forderung folgt: „Schla doet dat lose Pack!“ Zielscheibe des Zorns waren die sogenannten Kipper und Wipper, welche im Dienste der Landesherren oder auch auf eigene  Faust Münzverschlechterung betrieben und dadurch die größte Inflation in der langen Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation auslösten. Die Bezeichnung für derartige Währungsmanipulanten nahm auf deren praktisches Vorgehen Bezug: Mittels einer Waage (Wippe) wurden die guten Münzen mit hohem Edelmetallanteil identifiziert und auf die Seite geschafft (gekippt), um daraus dann größere Mengen weniger guthaltiger Geldstücke unter Beimischung von reichlich Kupfer, Blei und Zink zu fabrizieren.

Dieser systematische Betrug resultierte nicht zuletzt aus dem zunehmenden Mangel an Kurantmünzen. Die bestanden zumeist aus Silber und besaßen einen Nennwert, welcher durch die in dem Geldstück enthaltene Edelmetallmenge gedeckt war. Allerdings stagnierte die in Umlauf befindliche Zahl solcher Taler aufgrund des Rückgangs der deutschen Silberproduktion, während immer mehr Kurantmünzen zur Finanzierung der permanent größer werdenden Söldnerheere gebraucht wurden. Das Fehlen von soliden großen Talern sollte also durch die verstärkte Ausgabe kleinerer Geldstücke mit geringerem Materialwert kompensiert werden.

Zur Finanzierung der größer werdenden Söldnerheere benötigt

Als ebenso fatal wie die Silberknappheit erwiesen sich darüber hinaus einige Regelungen der 1559 von Kaiser Ferdinand I. erlassenen Reichsmünzordnung. Denn die erlaubten denjenigen Herrschern, welche das Recht besaßen, Münzen zu prägen und das Geldwesen in ihren Territorien zu regulieren, auch die Produktion von kleineren Landmünzen mit einem im Vergleich zu den Kurantmünzen niedrigeren Silbergehalt. Jedoch berücksichtigte die Reichsmünzordnung nicht in ausreichendem Maße, daß die Herstellungskosten für das Kleingeld in Form von Kreuzern, Groschen, Schillingen, Batzen, Hellern oder Pfennigen im Verhältnis zum Nennwert der Stücke trotz des abgesenkten Edelmetallanteils deutlich zu hoch waren. Dadurch erlitten die Münzherrn letztlich Verluste. Während bei der Ausprägung von einigen Kilo Silber in Talern noch ein Gewinn anfiel, führte die Verarbeitung der gleichen Menge Silber zu Pfennigen oder ähnlichen Scheidemünzen regelmäßig zu Einbußen. Deshalb veranlaßten viele Herrscher ab 1618, also mit Beginn des Dreißigjährigen Krieges, eine zusätzliche Reduzierung des Silberanteils im Kleingeld.

Damit die neuen verschlechterten Zahlungsmittel dennoch akzeptiert wurden, ließen sich die Münzmeister der Landesfürsten einiges einfallen: So prägten sie nun beispielsweise Stücke zu 60 Groschen, deren Münzbild an die damals sehr beliebten, aus fünf Gramm Silber bestehenden „Engelsgroschen“ erinnerte, die aber selbst kaum etwas von dem Edelmetall enthielten. Aufgrund dessen verloren die Scheidemünzen rapide an Wert. Konnte man 1566 noch 68 Kreuzer in einen guten Reichstaler wechseln, lag der Kurs Ende 1619 bereits bei 124 zu eins. Und 1622 mußten dann je nach Region sogar 600 bis 1.000 Kreuzer für einen vollwertigen Taler hingelegt werden.

Die Unsitte der Münzverschlechterung hielt bald in fast allen Regionen des Reiches Einzug, besonders aber in Sachsen, Brandenburg, Schlesien, Anhalt, Bayern, Hessen und Braunschweig-Wolfenbüttel. Und auch Kaiser Ferdinand II. versuchte seine Finanzen auf solcherlei Weise zu sanieren. Er verpachtete die gesamte Habsburger Münzprägung an ein Konsortium, welches Unmengen minderwertiger Geldstücke in Umlauf brachte und für dieses „Privileg“ sechs Millionen Goldgulden pro Jahr an den Kaiser zahlte. Solide ausgemünzt wurde bald nur noch in wenigen Teilen des Reiches wie der Freien Reichsstadt Köln und in Jülich-Berg.

Einige Herrscher trieben es dabei besonders schlimm. Denn sie duldeten auch die nicht durch die Reichsmünzordnung autorisierten „Heckenmünzstätten“, in denen Kriminelle aus dem ohnehin schon schlechten Geld der Zeit noch schlechteres machten und dabei dreist die Prägungen anderer Münzherrn kopierten.

Was dann geschah, hatte der englische Regierungsberater Thomas Gresham bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in dem nach ihm benannten Gesetz vorhergesagt: Das schlechte Geld, dessen Nennwert deutlich höher lag als sein tatsächlicher Edelmetallwert, verdrängte das gute Geld, welches vorsorglich als Inflationsschutz gehortet wurde – natürlich nur, sofern es vom gierigen Zugriff der Kipper und Wipper verschont blieb. Also kursierten bald bloß noch die minderwertigen Münzen, zu deren Annahme die Zahlungsempfänger per Gesetz verpflichtet waren.

Die dem Nennwert nach exorbitant gewachsene Geldmenge führte zunächst zu einer kurzen Scheinblüte der Wirtschaft und dann zu massiven Preissteigerungen. So kostete der Scheffel Roggen in Dresden 1622 das Fünffache der Summe von 1620. Am Ende weigerten sich die Händler und Bauern dann sogar rundheraus, die manipulierte Währung zu akzeptieren, was vor allem die städtische Bevölkerung traf. Deshalb klagten manche Zeitgenossen, „das schlimme Geld habe mehr Schaden angerichtet als wenn ein Heer von 30.000 Mann … das Reich ausgeplündert hätte“.

Hieraus resultierten schließlich Unruhen und gewaltsame Übergriffe auf die Kipper und Wipper. Verzweifelte, hungernde Menschen attackierten die Münzstätten mit Äxten und Fackeln und lynchten deren Personal. Um die Tumulte zu beenden, statuierten die Landesherren widerwillig das eine oder andere Exempel an den Münzmeistern, welche somit zu Sündenböcken für die verfehlte Geldpolitik gemacht wurden.

Gleichzeitig bekamen die Herrscher deren Folgen nun auch selbst zu spüren: Die geringwertigen Münzen landeten in Form von Steuern und Abgaben in den Kassen des Staates, wo sie kaum mehr Nutzen brachten. Schließlich wollten die angeworbenen Söldner ihre Haut nur für gutes Geld riskieren und die Hoflieferanten gleichermaßen ehrlich bezahlt werden.

Auch danach gab es keine Disziplin in Währungsangelegenheiten

Also begannen die territorialen Münzherrn im Verlaufe des Jahres 1622, das Ganze zu beenden, indem sie die Aufhebung sämtlicher Kipper-und-Wipper-Münzstätten sowie die Rückkehr zu einem geordneten Geldwesen verfügten. Allerdings zog diese sich länger hin als gedacht. So erging der Beschluß zur reichsweiten Wiederherstellung der Zustände von vor 1618 erst am 18. Februar 1623 während einer Zusammenkunft der Landstände in Torgau. Und Johann Georg I. von Sachsen ließ sich mit einer entsprechenden Verordnung für sein Kurfürstentum sogar noch bis zum 31. Juli 1623 Zeit.

Nach dem Ende der Herausgabe des schlechten Geldes zogen die Landesherren die minderwertigen Münzen ein und ersetzten diese durch Zahlungsmittel, deren Materialwert wieder den herkömmlichen Regelungen entsprach. Das ging freilich mit gravierenden Verlusten für die Besitzer der nicht guthaltigen Münzen sowie auch die staatlichen Kassen einher. Deshalb erlitt Deutschland zwischen 1618 und 1623 einen spürbaren Wohlstandsverlust. 

Trotzdem wurden aus den wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen durch das Kipper-und-Wipper-Unwesen vor 400 Jahren keine nachhaltigen Lehren gezogen. Davon zeugen unter anderem die zweite Kipper-und-Wipper-Periode zwischen 1660 und 1675 in Schwarzburg-Sondershausen, Mansfeld-Eisleben, Sachsen-Coburg und dem Herrschaftsbereich der Grafen von Sayn-Wittgenstein sowie die dritte Kipper-und-Wipper-Zeit in Preußen beziehungsweise den preußisch besetzten Gebieten von 1756 bis 1763. Darüber hinaus kamen auch im Machtbereich von August dem Starken, seines Zeichens Kurfürst von Sachsen und König von Polen, 1701/02 massenhaft minderwertige Sechs-Pfennig-Stücke in Umlauf, die das Volk „Rote Seufzer“ nannte. Disziplin in Währungsangelegenheiten war also schon in der frühen Neuzeit eine durchaus rare Tugend in Deutschland.

Foto: Flugblatt über Kipper und Wipper von 1623: Größte Inflation im ganzen Reich ausgelöst