© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Ende der „schrecklichen Zeit“
Nach dem Tode Richard von Cornwalls 1272 endete die Zeit des „Interregnums“ / Rudolf von Habsburg wurde neuer König
Jan von Flocken

Seit dem Aussterben der Staufer-Dynastie wußte keiner mehr, wer im Deutschen Reich das Sagen hatte. Bis 1256 bildeten sich zwei Fraktionen unter den Kurfürsten, die allein zur Königswahl berechtigt waren. Die Erzbischöfe von Mainz und Köln sowie Pfalzgraf Ludwig favorisierten den englischen Adligen Richard von Cornwall. Erzbischof Arnold von Trier, Markgraf Heinrich der Erlauchte von Sachsen und Markgraf Johann von Brandenburg bevorzugten König Alfons X. von Kastilien. Im Vorfeld flossen von beiden Kandidaten reichlich Bestechungsgelder. Vor allem Richard, Bruder des Königs Heinrich III. von England, konnte sich die Zahlung der riesigen Summe von 46.000 Pfund Silber leisten, weil ihn die seit 1245 verliehenen Zinnbergwerke in Cornwall zu einem der reichsten Fürsten Europas machten. 

Schließlich kam es zur Doppelwahl von Richard und Alfons. Damit begann in Deutschland das „Interregnum“ (Zwischenherrschaft), „die kaiserlose, die schreckliche Zeit“, wie Friedrich Schiller sie später treffend bezeichnete. Nach dem Rechtsverständnis des 13. Jahrhunderts blieb bei einer Doppelwahl offen, wer der rechtmäßige Herrscher im Reich war. Das mußten die beiden Rivalen untereinander klären. Es entstand eine Zeit des Faustrechts, wo jeder, der die Macht dazu besaß, sich alles erlaubte, um seine Herrschsucht oder Geldgier zu befriedigen. Eine einzige günstige Wirkung hat diese Zeit ausgeübt: Viele der aufblühenden deutschen Städte schlossen sich zusammen. Der 1254 auf Anregung des Trierer Patriziers Arnold Walpod gegründete Rheinische Städtebund mit seinen nahezu sechzig Mitgliedern (unter anderem Köln, Aachen, Worms, Mainz, Speyer, Basel, Zürich, Nürnberg, Frankfurt/Main und Straßburg) übte sogar politischen Einfluß aus. In ihrem Bundesvertrag verpflichteten sie sich, nur dem Herrscher zu gehorchen, den die Fürsten einstimmig gewählt hatten. Bei einer zwiespältigen Wahl wollten sie „keinem beistehen, keinen aufnehmen, ihm kein Geld leihen oder andere Dienste leisten“.

Bei der Bewerbung um die deutsche Reichskrone konnte der 48jährige Richard von Cornwall auf die Unterstützung seines königlichen Bruders bauen, der wegen des angespannten Verhältnisses zu Frankreich, aber auch wegen eigener Ambitionen in Sizilien, großes Interesse an einem Verbündeten auf dem deutschen Thron hatte. Richard selbst war nicht nur der reichste englische Magnat, er zählte auch zu den erfahrenen Diplomaten. Als sich im September 1256 abzeichnete, daß kein deutscher Reichsfürst als Kandidat in Frage kam, bewarb sich der Engländer offiziell um die Königswürde. Am 26. Dezember 1256 bot der Kölner Erzbischof Richard in London feierlich die römisch-deutsche Krone an, und dieser erklärte sich mit Zustimmung seines Bruders bereit, die Wahl anzunehmen. „Törichtes England, das sich freiwillig so großer Gelder beraubt. Törichte Fürsten Deutschlands, die ihr edles Recht für Geld verschachert haben“, zürnte ein zeitgenössischer Chronist aus Hamburg.

Hoffnung auf energischen Herrscher auf deutschem Thron

Am 10. April 1257 brach Richard mit seinem Gefolge nach Deutschland auf, begleitet von seiner Gemahlin und den beiden Söhnen Heinrich und Edmund. Zu Christi Himmelfahrt (17. Mai) empfing er im Aachener Münster Reichskrone und Zepter, wobei er auf dem Thron Karls des Großen Platz nahm. Die folgende durch den Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden „am rechten Ort“ durchgeführte Krönung war ein wichtiges legitimierendes Moment für Richard, denn sein Konkurrent Alfons wurde nicht gekrönt und hat Deutschland auch nie betreten. Köln und die meisten anderen im Rheinischen Bund zusammengeschlossenen Städte öffneten Richard die Tore, vor allem weil sie ihre einträglichen Handelsbeziehungen mit England nicht gefährden wollten. Im September 1257 hielt der neue Monarch einen Reichstag in Worms ab, um sich huldigen zu lassen. Nach seiner Wahl kam der König von der Insel noch dreimal nach Deutschland: von Juni bis Oktober 1260, von Juni 1262 bis Februar 1263 und von August 1268 bis Juli 1269. Das war herzlich wenig, aber die Parteienkämpfe in England beschäftigten ihn immer stärker.

Nachdem Richard am 2. April 1272 auf Burg Berkhamsted (Hertfordshire) gestorben war, veränderte sich die politische Situation schlagartig. Allen Verantwortlichen war bewußt, daß Alfons von Kastilien lediglich einen Marionettenkönig darstellte. Der Vatikan hatte bisher bezüglich Deutschland eine zurückhaltende Politik betrieben und war überdies durch ein zweieinhalb Jahre währendes Konklave handlungsunfähig. Das änderte sich nun. Der seit März 1272 amtierende Papst Gregor X. war vom Gedanken eines neuen großen Kreuzzuges in den Orient beseelt, bei dem ihm ein Kaiser als Oberhaupt des Deutschen Reiches hilfreich zur Seite stehen sollte. Daher ermahnte er die Kurfürsten, möglichst rasch eine Neuwahl zu beginnen. 

Aufgrund des päpstlichen Drängens hatten sich am 1. Oktober 1273 in Frankfurt/Main sechs Kurfürsten und der Herzog von Niederbayern einstimmig für den Grafen Rudolf von Habsburg als König entschieden. Dieser Habsburger schien ein durchaus würdiger Kandidat. „Rudolf ging von seiner Grafenzeit her der Ruf eines mutigen und zupackenden Mannes voraus“, urteilt seine Biographin Evamaria Engel. „Man hielt ihn für geeignet, nach den letzten Schattenkönigen der Zeit des Interregnums wieder ein energischer Herrscher auf dem deutschen Thron zu sein.“ Böse Zungen behaupteten freilich, man habe Rudolf auch deshalb gewählt, weil er mit 55 Jahren schon relativ alt gewesen und deswegen eine allzu lange Regierungszeit kaum zu befürchten war. Tatsächlich regierte er dann noch zwei Jahrzehnte durchaus erfolgreich.

Foto: Das Siegel Richard von Cornwalls: Er ließ sich zum römisch-deutschen König wählen, konnte aber seine Herrschaft nicht durchsetzen. Mit seinem Tod wurde die Notwendigkeit zur Überwindung des Interregnums deutlich