© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Nahrungsmittelknappheit, Inflation, Unruhen
Düngemittel: Kaliknappheit für das zweite Quartal erwartet / Das russische Embargo entfaltet schon jetzt seine verheerende Wirkung
Paul Leonhard

Brasilien versorgt die halbe Welt mit Mais und Fleisch, bei Soja, Zucker und Kaffee ist das fünftgrößte Land der Erde sogar Exportweltmeister. Doch der Dünger dafür kommt – wie in den USA und der EU – traditionell aus Weißrußland und Rußland. Dort wird die Produktion aber heruntergefahren, weil der wichtigste Ausfuhrhafen Odessa in der Ukraine liegt. Daher gibt es viel weniger Kalium-, Stickstoff- und Phosphat-Düngemittel, was globale Folgen hat: Nahrungsmittelknappheit, Inflation, Arbeitslosigkeit, Unruhen, Umsturzversuche. Nicht umsonst hatte der rechtsnationale Präsident Jair Bolsonaro seinen Stellvertreter, Ex-General Hamilton Mourão, umgehend zurückgepfiffen, als der Wladimir Putin wegen des Angriffs auf die Ukraine öffentlich verurteilte.

Die neun Millionen Tonnen Dünger (2021) aus Rußland schienen zu wichtig, als sich sofort mit einem Land wie der Ukraine solidarisch zu erklären, von dem die meisten Brasilianer nicht einmal wissen, daß es existiert. Bei der UN-Abstimmung votierte Brasilien dann zwar – wie 140 westlich orientierte oder afrikanische Staaten – für die abgeschwächte Resolution, die den russischen Einmarsch verurteilte. Doch erst nach einer Zusage: Kanada, das zu den Nutznießern der russischen Lieferschwierigkeiten und europäischen Sanktionen gehört, und der sanktionierte Iran sollen nun aushelfen, bis Brasilien eine eigene Düngemittelproduktion auf die Beine gestellt hat.

Ein Ziel, das die Brasilianer mit den Europäern eint: Weniger Globalisierung, dafür mehr Sicherheit durch Selbstversorgung. In Europa sind die Preise für Kalidünger zwar merklich gestiegen, für Stickstoffdünger und flüssige Ammoniumnitrat-Harnstoff-Lösung blieben sie zunächst stabil. Aber wie lange noch? Sollten EU-Landwirte Kalidünger ebenfalls aus Kanada beziehen müssen, statt wie bisher kostengünstig aus den Ex-Sowjetrepubliken, würde allein das für steigende Lebensmittelpreise sorgen, warnen Experten auf Agrarheute.com. Aktuell prognostiziert US-Düngerhersteller Mosaic Kaliknappheit im zweiten Quartal und damit der Hauptverbrauchssaison für europäische und nord­amerikanische Bauern.

US-Landwirtschaftsminister Tom Vilsack (1999 bis 2007 Gouverneur des Agrarstaats Iowa) warnt die Düngerhersteller davor, ihre Marktmacht auszunutzen, um die Preise für die Farmer „stärker als gerechtfertigt zu erhöhen“. Von den Ampelkoalitionären ist wenig zu hören: Schon die bisherigen Preissteigerungen für Futter können die deutschen Tierhalter „derzeit über ihr Produkt, wie Rind-, Geflügel- oder Schweinefleisch, in dem Tempo nicht wieder ausgleichen“, warnt Henrik Wendorff, Präsident des Bauernverbandes Brandenburg. Er fordert eine Senkung der Mehrwert- oder Energiesteuer.

Dünger wird auch wegen der explodierten Erdgaspreise knapp. Der norwegische Hersteller Yara International schränkte seine Produktion in Ferrara in Italien und Le Havre in Frankreich schon ein. „Geplante Maßnahmen wie die Strompreiskompensation oder die Einführung des Dekarbonisierungsfonds müssen schnell umgesetzt werden“, fordert daher Hubert Culik, Chef des österreichischen Chemieverbands FCIO: „Bei der CO2-Bepreisung sollte die Diskussion nicht ideologisch, sondern sachlich und pragmatisch geführt werden.“ Im Cicero erinnert Allison Fedirka, Analystin der Denkfabrik Geopolitical Futures, daran, daß Rußland schon Ende 2021 die Ausfuhr von Stickstoffdünger bis April und China die von Phosphatdünger bis mindestens Juni verboten hatte.

Die Türkei bezieht 75 Prozent ihrer Weizen- sowie die Hälfte ihrer Mais- und Sonnenblumenölimporte aus Rußland und der Ukraine. In ähnlicher Abhängigkeit befinden sich Marokko, Tunesien, der Libanon und Syrien. Da kurzfristig keine Besserung in Sicht ist, „sind Massenunruhen nahezu unvermeidlich“, schreibt Fedirka. Und: Ägypten und Marokko liefern über 30 Prozent der Kaliumdünger-Exporte für den Weltmarkt.

Dünger-Infos des Industrieverbands Agrar (IVA): www.iva.pdf