© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Rußlandliebe ist nicht mehr angesagt
EU-Rechtsparteien: Einstige Sympathien für Putin werden von der Realität eingeholt
Jörg Sobolewski / Curd-Torsten Weick

Sie ist kurz geworden, die Liste der Parteien und Politiker, die sich offen hinter Rußland und seinen Präsidenten stellen. Als am 1. März das Europäische Parlament über eine gemeinsame Erklärung abstimmen sollte, die neben deutlichen Worten auch die Forderung nach härteren Sanktionen umfaßte, entschieden sich die Parlamentarier in ungewöhnlicher Einigkeit für den Vorschlag. Auch die beiden rechten Fraktionen im Parlament, Identität und Demokratie (ID) sowie die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) schlossen sich an. 

Das Protokoll über das Abstimmungsverhalten birgt dabei durchaus die eine oder andere Überraschung, etwa die Zustimmung von Thierry Mariani. Der Franzose gilt als durchaus rußlandaffin, besuchte etwa 2015 gemeinsam mit Kollegen die von Rußland annektierte Krim und handelte sich damit gehörigen Ärger mit der Regierung in Kiew ein. Doch mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Mariani augenscheinlich einen Kurswechsel vollzogen. Er steht dabei nicht allein, der Angriff auf den Nachbarn hat einiges innerhalb der europäischen Rechten ins Rollen gebracht. 

Am deutlichsten wird dies in Frankreich. Dort ist der Präsidentschaftswahlkampf zwischen den vier aussichtsreichsten Kandidaten in vollem Gange. Vom Krieg in Osteuropa profitieren kann am ehesten der Amtsinhaber Emmanuel Macron; anders als seine beiden Konkurrenten von der politischen Rechten verzeichnet sein Bündnis einen deutlichen Zuwachs in der Wählergunst. Für Eric Zemmour verspricht der Krieg hingegen Schlimmes. Er liegt mittlerweile deutlich hinter seiner eigentlichen Konkurrentin zurück. Denn mit Marine Le Pen und ihrem Rassemblement National streitet sich Zemmour um die Rolle des rechten Herausforderers. Lief es zuletzt relativ gut für ihn, mußte der Schriftsteller seit Beginn des Krieges deutliche Einbußen hinnehmen. Viele Franzosen werfen ihm seine freundlichen Signale gegenüber Moskau aus der Vergangenheit heute vor. Auch seine anfängliche Skepsis gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine verfing beim sonst sehr migrationskritischen Publikum nicht. Mittlerweile liegt der einstige Hoffnungsträger nur noch bei zwölf Prozent in den Umfragen, gleichauf mit dem linksradikalen Jean-Luc Mélenchon und der Zentristin Valérie Pécresse. 

Die spanische Vox kritisierte allzu große Sympathien für Putin 

Auch Marine Le Pen spürt die Last ihrer guten Rußlandverbindungen aus der Vergangenheit. Es war schließlich ein Kredit einer russischen Bank, der ihr eine aussichtsreiche Kandidatur in der Vergangenheit ermöglichte. Etwas mehr als neun Millionen Euro flossen in ihre Parteikasse, eine Bürde, die heute schwer auf der ewigen Kandidatin der Rechten lastet. Um sich nun von der russischen Erblast zu distanzieren, greift Le Pen zu drastischen Mitteln. Einen bereits millionenfach gedruckten Flyer ließ sie kurzerhand vernichten, bevor er ausgeteilt werden konnte. Der Grund: ein darin abgedrucktes Poster mit Rußlands Präsident Wladimir Putin. 

Schlimmer hatte es nur noch Matteo Salvini getroffen, der ehemalige Freund von Putin wurde lange als ausgemachter Russophiler betrachtet. In einem Pro-Putin-Shirt ließ der Chef der Lega sich 2015 im EU-Parlament ablichten. Heute zeigt sich Salvini hingegen beim Ablegen von Blumen vor der ukrainischen Vertretung. Die Männerfreundschaft gehört der Vergangenheit an, so die klare Botschaft. Ein Abschied, der immerhin nicht ganz überraschend kommt; die Abgeordneten der Lega im Europäischen Parlament nehmen schon seit einiger Zeit einen deutlich skeptischeren Blick auf Rußland ein.

 Ein weiterer persönlicher Freund von Putin legte ebenfalls zumindest teilweise eine Kehrtwende hin. Der ungarische Präsident Viktor Orbán, der sich vor dem Krieg damit gebrüstet hatte, seinen russischen Amtskollegen nicht weniger als zwölfmal getroffen zu haben, unterstützt nun ebenfalls das neue Sanktionspaket gegen Rußland. 

Noch Anfang Februar hatte Orbán auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Putin die Zusammenarbeit zwischen Ungarn und Rußland als etwas bezeichnet, das man „schätzen“ müsse. Beide Politiker kamen zu dem Schluß, daß Ungarn und Rußland derzeit gezwungen seien, in einem „schwierigen internationalen Umfeld“ zusammenzuarbeiten, da eine antirussische Politik in Westeuropa populär geworden sei.

Laut ungarischer Nachrichtenagentur MTI hat Orbán darauf verwiesen, daß Ungarn aufgrund der EU-Sanktionen gegen Rußland Verluste in Höhe von 6,5 Milliarden US-Dollar erlitten habe. Er habe dabei zudem betont, daß es falsch sei, Konflikte, die nicht wirtschaftlicher Natur seien, in den Bereich der Wirtschaft zu verlagern, da solche Probleme nicht mit wirtschaftlichen Mitteln gelöst werden könnten.

Andernorts zeigt sich die Abkehr von Rußland eher in programmatischen Verschiebungen. In Schweden etwa, wo die Schwedendemokraten, historisch streng auf schwedische Neutralität bedacht, nun im Umgang mit dem russischen Vorgehen in der Ukraine auf die Nato setzen wollen. Am 11. März kündigte Parteichef Jimmie Åkesson an, die bisherige Position der Partei in dieser Sache teilweise revidieren zu wollen. Sollten die Schwedendemokraten im Parlament dieser Ankündigung nachkommen wollen, gäbe es im schwedischen Reichstag eine deutliche Mehrheit von über sechzig Prozent für einen Beitritt zum Militärbündnis.

 „Wir halten zum Beispiel nichts von allzu großer Nähe oder Sympathie für Putin und dessen Machtsystem in Rußland“, erklärte der Vertreter der Vox-Partei im EU-Parlament Hermann Tertsch im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT im November 2020, mit Blick auf manch Abgeordneten in der ID-Fraktion – ohne allerdings Namen zu nennen. Im Fokus stand dabei auch die FPÖ. Nicht nur die Ibiza-Affäre um das Treffen im Juli 2017 von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit einer jungen Frau, die behauptete, eine russische Investorin zu sein und Verbindungen zu Präsident Wladimir Putin zu haben, sowie staatliche Aufträge versprach, brachte die Freiheitlichen in den Ruch, zu rußlandfreundlich zu sein. 

Bereits die Reise des Wiener FPÖ-Politikers  Johann Gudenus 2012 zum tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow oder dessen Rolle als Beobachter beim international nicht anerkannten Krim-Referendum im März 2014, mit dem Moskau die Annexion der ukrainischen Halbinsel zu legitimieren versuchte, ließen die Kritik wachsen. Mit der Unterzeichnung einer „Vereinbarung über Zusammenwirken und Kooperation“ mit der Kreml-Partei „Einiges Rußland“ am 19. Dezember 2016 schienen die Weichen gestellt.

FPÖ brach schon 2019 mit dem rußlandaffinen Kurs Straches

Doch im Oktober 2019 betonte der stellvertretende FPÖ-Vorsitzende Manfred Haimbuchner im Gespräch mit profil, daß das Abkommen mit „Einiges Rußland“ beendet werden solle: „Das ziemt sich nicht.“ Im Dezember 2021 erklärte dann der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl, daß diese Kooperation „bereits Geschichte“ sei. Er habe immer an der Sinnhaftigkeit des Kooperationsvertrages gezweifelt. Nun habe er entschieden, ihn nicht mehr zu verlängern. Der Vertrag sei ohnehin „nie mit Leben erfüllt“ worden. Pro-russische Stimmen, die es in der Vergangenheit auch immer mal wieder beim Vlaams Belang (VB) gegeben hatte – 2014 waren drei Mitglieder des VB auf die Krim gereist, und der Fraktionsvorsitzende Filip Dewinter bezeichnete Putin als ein Vorbild – erteilt Parteichef Tom van Grieken heute eine klare Abfuhr und ruft zu Sach- und Geldspenden für die Ukraine auf.

In Finnland sorgte eine Umfrage des Wirtschafts- und Politikforums EVA im Oktober 2021 für Aufsehen. Dieser zufolge ist die Einstellung der Finnen gegenüber Rußland in den 2000er Jahren negativer geworden. Im Jahr 2012 hätten noch fast zwei von drei Befragten (63 Prozent) eine positive Einstellung zu Rußland gehabt, doch seither sei die positive Einstellung zu Rußland um rund 30 Prozentpunkte gesunken. Je jünger der Befragte ist, desto höher ist die negative Einstellung gegenüber Rußland. Diese Entwicklung sei mit dem Beginn der dritten Amtszeit Putins im Jahr 2012 und der russischen Invasion der Krim im Jahr 2014 zusammengefallen, so EVAs Fazit.

Unter den etablierten Parteien seien die Anhänger der rechten Finnenpartei am stärksten pro-russisch eingestellt. 48 Prozent der Befragten Parteianhänger waren demnach noch vor vier Monaten der Meinung, daß es keinen Grund gebe, Rußland gegenüber negativ eingestellt zu sein. Nur 22 Prozent der Anhänger des Linksbündnisses waren dieser Meinung.

Doch anders als ihre Anhängerschaft zeigte und zeigt sich die Führung der Finnenpartei weitaus kritischer gegenüber dem Nachbarn. So erklärte deren damaliger Vorsitzende Jussi Halla-aho im Mai 2019: „Die Finnenpartei hat sich vor der Krise in der Ukraine gegen die Idee der Visafreiheit mit Rußland ausgesprochen – zu einem Zeitpunkt, als andere Parteien diese Idee eifrig unterstützten. Unsere Position war damals richtig und ist auch heute noch richtig.“

Als neuer Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten betonte Halla-aho Anfang  März, daß die Aktionen Rußlands dazu zwingen, viele Dinge zu überdenken und daß „in der alten Welt kaum ein Stein auf dem anderen bleiben werde“. Halla-aho dankte der Welt, dem finnischen Volk und den finnischen Politikern für ihre Einigkeit und Schnelligkeit bei der Durchsetzung von Sanktionen gegen Rußland. Halla-aho zufolge „zwingt uns die Umsetzung der Isolation Rußlands dazu, Dinge schnell zu tun, von denen viele ohnehin vorzeitig oder zumindest notwendig gewesen wären“. Das Wichtigste sei, sich von der Energieabhängigkeit zu lösen, heißt, „die Schläuche von Rußland abzukoppeln“, unterstrich Halla-aho.

Die neue Vorsitzende der Finnenpartei Riikka Purra teilt diesen Kurs und betont: „Gute Beziehungen zu Rußland, bilaterales Vertrauen, Diplomatie, geschicktes Ausbalancieren – die Sicherheitsgaranten von einst, die Prinzipien, die wir so gut kannten, wurden nach und nach zu leeren Worten, zur Rhetorik einer überholten Welt.“ „Hat Putin Interessen in Finnland, die er gerne fördern möchte?“ fragt Purra und antwortet klar: „Ja, das tut er. Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, was im Krieg zwischen Rußland und der Ukraine passieren wird, und schon gar nicht, was Putin danach tun wird.“

Foto: Lega-Chef Matteo Salvini im November 2015 im EU-Parlament: Damals für und heute gegen die Rußlandsanktionen